Amateurfunk in Tibet


Auszüge aus 'Gefangen in Tibet'

In seinem Buch „Wind between the Worlds“, deutsch „Gefangen in Tibet“, Verlag Heinrich Scheffer, Frankfurt, beschreibt Ford sein Leben in Tibet.

Auszüge aus 'Gefangen in Tibet'I: Drohung

Kapitel: Tibet und die Welt (Seite 86 - 91)
"Dann werden wir um Hilfe bitten."
"Dann wird es zu spät sein. Ihr habt der Welt nicht einmal gesagt, daß ihr euch jetzt als unabhängig betrachtet."
"Doch, das haben wir bewiesen, als wir im letzten Sommer die chinesischen Beamten verjagten?"
"Damit habt ihr nur eure Neutralität im chinesischen Bürgerkrieg bewiesen, das ist alles; wenigsten haben es die anderen Länder so ausgelegt."
"Aber beweisen wir es nicht jetzt, indem wir uns weigern, nach Peking zu gehen? Unsere Abordnung war seit Anfang des Jahres in Indien, hat versucht, mit den Chinesen zu verhandeln, und sich immer geweigert, nach China zu gehen. Was sollen wir denn nach Ihrer Meinung tun?" fragte er.
"Es gibt nur zwei Dinge, die ihr tun könnt" sagte ich. "Entweder verkündet ihr, daß ihr ein unabhängiger Staat seid und entschlossen seid, es zu bleiben, oder ihr geht nach Peking und erreicht die bestmöglichen Bedingungen. Beides wäre besser als hier zu sitzen und zu warten, bis man euch geschluckt hat."
"Aber jeder weiß doch, daß Tibet ein unabhängiger Staat ist."
Gerade hierin bestand die Schwierigkeit; nicht jeder wußte es. Nach dem Völkerrecht war die Frage von Tibets Souveränität zweideutig und verworren.

Kapitel: Die Grenze Tibets (Seite 91 - 98)
Die Tatsache der Unabhängigkeit Tibets unterlag keinem Zweifel. Ausgenommen zwei kurze Perioden chinesischer Herrschaft, die beide durch eine nationale Erhebung beendet wurden, war Tibet durch Jahrhunderte ein autonomer Staat gewesen. Unter der Mandschu-Dynastie hatten die Chinesen eine unbestimmte und schwache Oberherrschaft ausgeübt, die auf persönlichen Beziehungen zwischen dem Kaiser von China und dem Dalai Lama beruhte, aber diese hatte mit der chinesischen Revolution von 1911 ein Ende gefunden. Seitdem war Tibet völlig unabhängig gewesen.
Im Jahre 1913 trafen sich tibetische, chinesische und britische Beauftragte in Simla und unterzeichneten ein Übereinkommen, wonach Tibet die chinesische Oberherrschaft unter der Bedingung anerkannte, daß China die tibetische Autonomie respektierte; mit anderen Worten, nominelle Oberherrschaft gegen tatsächliche Unabhängigkeit. Man konnte sich aber über die Grenze nicht einig werden, und schließlich weigerten sich die Chinesen, zu unterzeichnen. Tibet behielt eine De-facto-Unabhängigkeit bei, und China beanspruchte weiter seine Oberherrschaft, die zu erzwingen es nicht in der Lage war. Es verweigerte Tibet auch das Recht auf Autonomie. Sogar in Formosa behauptete Tschiang Kai-schek, Tibet sei nur eine chinesische Provinz. Es war der einzige Punkt, in dem er und Mao Tse-tung übereinstimmten.
England erkannte Tibets inoffizielle Unabhängigkeit an, ebenso die meisten anderen Staaten; offiziell wurde die Frage nie gestellt, denn Tibet suchte nie um Anerkennung nach, sprach nie den Wunsch aus, Botschafter auszutauschen oder diplomatische Beziehungen aufzunehmen, und hielt sich von allen anderen Nationen fern.
"Beweist das nicht, daß unser einziger Wunsch ist, allein gelassen zu werden?" fragte Tharchi Tsendron. "Und ist das nicht unser gutes Recht?"
"Ja, Tharchi" erwiderte ich. "Moralisch ist das keine Streitfrage. Ich sprach davon, ob für euch eine Wahrscheinlichkeit besteht, irgendeine Hilfe zu bekommen. Daß Tibet Hilfe verdient, ist klar. Ich würde kaum hierbleiben, wenn das nicht zuträfe."
"Sie sind überhaupt nicht in Tibet. Chamdo liegt in China. Ich habe in einem Atlas nachgesehen", sagten mir britische und amerikanische Radio-Amateure. Ich hatte das nicht einmal, sondern hundertmal gehört, und es war sehr schwer, sie davon zu überzeugen, daß ihre Atlanten irrten.
"Aber es ist ein ganz neuer Atlas; er ist erst in diesem Jahr erschienen."
"Ich habe nicht gesagt, daß er veraltet ist. Ich habe gesagt, er irrt."
"Aber es ist der Schulatlas meines Sohnes. Er lernt Geographie danach."
"Dann lernt er etwas Falsches."
Ihr Interesse war nicht rein theoretisch. Viele von ihnen versuchten, ein Diplom zu erlangen, das jeder Amateur von einem amerikanischen Radiomagazin erhielt, wenn er nachwies, daß er mit jeder Zone der Welt Verbindung hatte. Zu diesem Zweck war die Welt in vierzig Zonen eingeteilt worden, und Zone 23 war ganz Tibet, das am schwersten zu erreichen war. Fox beschäftigte sich zur Zeit nicht viel mit Amateurfunk, er war sehr krank, und die Radioamateure jubelten zunächst, als sie mit mir Verbindung bekamen. Dann suchten sie Chamdo in ihren Atlanten und machten mir Vorwürfe oder ärgerten sich. Ich funkte an die Radiogesellschaft von Großbritannien und die Radio Relay League in Amerika und wies darauf hin, daß sich die Atlanten irrten.
"Mit welchem Recht sagen Sie, Chamdo läge in Tibet?" fragte mich einer der Amateure.
"Ich bin in Chamdo, und ich bin Angestellter der tibetischen Regierung. Ich bin der erste Europäer seit mehr als dreißig Jahren, der sich hier aufhält. Der letzte war Sir Eric Teichman, und die Grenzlinien auf seinen Karten sind durchaus richtig, die Ihrigen sind immer falsch gewesen."
"Wer hat sie denn so angegeben?"
"Die Chinesen."
Als die Chinesen 1910 in Tibet einfielen, war Chamdo in ihre Hände geraten und von einem Grenzkommissar namens Chao Erh-Feng verwaltet worden. Khenchi Dawala erinnerte sich noch an ihn und seinen Beinamen "Schlächter Chao", den er wegen seiner Gewohnheit, Massenhinrichtungen zu befehlen, bekommen hatte. Bei der Revolution von 1911, als die Chinesen aus Lhasa und dem größten Teil von Kham hinausgeworfen wurden, brachten ihn seine eigenen Landsleute um. Aber es gelang den Chinesen, Chamdo zu halten, bis es 1918 befreit wurde, nachdem die Chinesen Tibet von neuen angegriffen hatten und vernichtend zurückgeworfen wurden.
"Wir hätten damals ganz Tibet befreien können", sagte Khenchi Dawala und meinte damit die Provinzen Sikang und Tsinghai. "Lord Teichman hinderte uns daran, weiterzugehen."
Teichman, der später geadelt wurde, hatte dies selbst zugegeben. (...)
Nach dem ergebnislosen Abbruch der Gespräche erkannten die Chinesen ihren eigenen Anspruch selbst an und gaben eine Landkarte heraus, auf daß die ganze Welt es sehen könne. Die Tibeter hatten keine Karten, die sich zur Veröffentlichung geeignet hätten. China hatte diplomatische Beziehungen zu den anderen Nationen der Welt, Tibet nicht. Die Kartenhersteller in anderen Ländern richteten sich nach der chinesischen Karte, und daher kam dieser Irrtum. (...)

II. Die Invasion

Kapitel: Die Schlacht um Kham (Seite 116 - 130)
Zwischen den planmäßigen Sendungen hörte ich die Nachrichten aus aller Welt, aber es wurde immer noch nichts über den Angriff auf Tibet gesagt. Dann kam die Sendung von Radio Lhasa.
Während Fox Abwesenheit gab es keine Nachrichten in englischer Sprache, aber ich fuhr fort, die tibetischen und chinesischen Nachrichten weiterzugeben.
Horkhang Sé und mehrere andere Lhasa-Beamte kamen an diesem Tag, um zuzuhören.
Über die Invasion wurde kein Wort gesagt.
"Ich kann das nicht verstehen", sagte ich nach Beendigung der Sendung. "Die Chinesen haben Tibet angegriffen. Tibet wünscht Hilfe. Peking schweigt aus durchsichtigen Gründen. Was in aller Welt kann Lhasa gewinnen, wenn es so tut, als gäbe es keinen Krieg?"
Keiner antwortete. (...)
Ich hatte die Gerüchte, die aus der politischen Klatschfabrik von Kalimpong stammen, nicht gehört. Wie es scheint, hatte (Seite 124) ein Korrespondent des "Statesman" am Mittwoch, sogar noch bevor der erste Bote aus Rangsum in Chamdo eingetroffen war, einen Bericht zurechtgefeilt, die Chinesen seien aus Tsinghai in Tibet eingedrungen und hätten den Paß von Dongma genau nördlich von Riwoche erreicht.
Die Geschichte war offensichtlich falsch, und "All-India Radio" zitierte den Leiter der tibetischen Abordnung, der gesagt hatte, es sei einfach "ein von Händlern mitgebrachter, verspäteter Bericht über einen kleineren Zwischenfall, der vier Monate vorher stattgefunden hatte". Wahrscheinlich war es auch so; die Nachricht vom Dengko-Zwischenfall konnte gerade soviel Zeit gebraucht haben, um Kalimpong zu erreichen, und derlei geographische Irrtürmer passierten ständig.
Daß aber die tibetische Abordnung mehrere Tage, nachdem die Nachricht von der Invasion in Lhasa eingetroffen war, leugnen konnte, daß ein chinesischer Angriff stattgefunden habe, konnte nur bedeuten, daß die Abordnung entweder nicht informiert worden war oder daß man sie angewiesen hatte zu schweigen.
Die Handlungsweise der Lhasa-Regierung wäre leichter verständlich gewesen, wenn sie etwa beabsichtigt hätte, den Chinesen nur einen symbolischen Widerstand zu leisten und dann um Frieden zu bitten; aber sie tat nichts Derartiges. Der Widerstand war eine Tatsache, und Tibets späterer Appell an die Vereinten Nationen bewies, daß niemals an eine Übergabe gedacht worden war. Ich konnte mir nur denken, daß sie aus Routine so handelten. Die Lhasa-Regierung war so an das gewöhnt, nichts zu sagen, was die Chinesen beleidigen oder herausfordern könnte, daß sie dies auch beibehielt, als jede Herausforderung belanglos geworden war. Sie versuchte noch einen Krieg abzuwenden, der bereits ausgebrochen war.
Was mich am meisten bedrückte, war, daß wahrscheinlich niemand außerhalb Tibets dies verstehen konnte. Sobald die Nachricht bekannt wurde, mußte sie so ausgelegt werden, daß Tibet nicht wirklich den Willen hatte, Widerstand zu leisten. (...)
Am Spätnachmittag kam Khenchi Dawala zu mir, um sich zu verabschieden.
"Werden Sie Tibet jetzt verlassen?" fragte er.
"Nicht, solange ihr weiterkämpft."
"Gehen Sie jetzt, und sagen Sie der Welt, daß wir kämpfen. Sie sind der einzige, der es weiß. Sagen Sie ihnen, daß wir nicht chinesisch, sondern eine unabhängige Nation sind und unabhängig und frei bleiben wollen. Verlange ich damit mehr von Ihnen, als die Wahrheit zu sagen?"
"Nein", erwiderte ich. "Ich weiß, daß alles wahr ist. Jawohl, ich werde es der Welt sagen."
"Wir mögen diesen Krieg verlieren". sagte Khenchi Dawala bedächtig. "Ich weiß, daß es nicht wahrscheinlich ist, jetzt Hilfe zu bekommen, nicht einmal im Frühjahr. Ich weiß, daß wir am Ende sicher verlieren werden. Die Chinesen sind schlau und stark. Wenn sie den oberen Jangtse überschreiten konnten, können sie auch den Saluen überschreiten. Wenn sie Khatang Depön auf dem Weg nach Chamdo schlagen konnten, können sie sich auch den Weg nach Lhasa erkämpfen. Sie mögen unser ganzes Land besetzen, aber selbst wenn sie es tun, wird unser Kampf nicht vergebens gewesen sein. Dies ist ein Krieg, den zu kämpfen wert ist, ganz gleich, ob wir gewinnen oder verlieren; denn eine Niederlage wäre keineswegs endgültig, wenn auch der Kampf aufhören sollte."
Seine Stimme hatte leise geklungen, als er von Niederlage sprach, aber nun klang sie lauter.
"Wir haben 1910 gegen die Chinesen verloren, und sie besetzten damals das ganze Land", fuhr er fort. "Ich war jung, und die Zukunft sah hoffnungslos aus, und alle um mich sagten, Tibet würde nie wieder frei werden, es geschehe denn ein Wunder. Ein Jahr später brachte die chinesische Revolution dieses Wunder. Wir nahmen die Gelegenheit wahr und warfen die Chinesen hinaus und waren für die nächsten vierzig Jahre frei. Jetzt haben die Chinesen eine zweite Revolution gehabt und uns wieder angegriffen. Warum sollten wir annehmen, dies wäre ihr letzter Bürgerkrieg gewesen? Tschiang-Kai-schek kann sie von Formosa aus angreifen - er ist nicht unser Freund, aber wenn wir auch gegen diese Kommunisten kämpfen, wird er unsere Freundschaft brauchen. Wir wären 1911 nicht frei geworden, wenn wir nicht 1910 darum gekämpft hätten. Würden wir uns jetzt nicht wehren, wäre es Tibets Ende. Wir mögen länger zu warten haben als beim letztenmal; für den größten Teil des Landes war es damals ein Jahr - in Chamdo mußten wir allerdings 8 Jahre warten. Das nächste Mal mag es zehn, fünfzehn, zwanzig, fünfzig Jahre oder noch länger dauern; aber solange wir daran denken, daß sie mit Gewalt gekommen sind, wird unser Wille, frei zu werden, bestehenbleiben. Wir werden wieder frei werden, weil die Götter auf unserer Seite sind. Aber sagen Sie der Welt, Phodo Kusho, daß wir nicht davongelaufen sind."
Ich versprach es. Damals hatte ich nicht die Möglichkeit, es zu tun, aber ich versuche, das Versprechen jetzt einzulösen. (...)

Kapitel: Rückkehr nach Chamdo (Seite 148 - 163)
So stand es also. Kein Wort von Landreform oder von den Rechten der Bauern und der Arbeiterklasse. Die Chinesen unterstützten die Beamten. (...)
Im ganzen verhörte mich Liu etwa sechzehn Stunden lang. Für die Mahlzeiten gab es Pausen, und ich hatte genügend Zeit zur Nachtruhe; wenn ich am Schluß des Verhörs ermüdet war, so war es Liu sicherlich auch. Er übte keinen ungehörigen Druck auf mich aus und drohte nicht. Nur einmal erhob er seine Stimme, weil er aufgebracht war, und zwar, als er mich über die Ausländer befragte, die ich in Lhasa gekannt hatte. Ich erwähnte dabei einige Chinesen.
"Wir sind keine Ausländer!" rief er empört. "Chinesen und Tibet sind ein Volk. Ihr seid die Ausländer, und ihr habt Zwietracht unter uns gesät!" (...)

Kapitel: Die Reise nach Osten (Seite 163 - 176)
Jetzt, als wir fast die Ostgrenze Sikangs erreicht hatten, bemerkte ich die ersten Zeichen, daß wir in China waren und nicht auf tibetischem, von den Chinesen beherrschtem Gebiet. Ich sah Häuser chinesischer Bauart mit chinesischen Beschriftungen an den Türpfosten und Männer, die auf chinesische Art an Bambusstangen hängende Wassereimer trugen. Doch es gab auch Tibeter, Gebetsmühlen und Gebetsfahnen, und am Rande der Stadt lag ein Kloster. Auch ein Kreuz sah ich auf dem Dach der römisch-katholischen Kirche. (...)
Bald nach Yaan gelangten wir zur Grenze zwischen den Provinzen Sikang und Szechuan. Die Grenzlinie war mit chinesischen Schriftzeichen auf einem Felsen seitlich der Straße gekennzeichnet.
Am nächsten Tagen begann unsere Fahrt durch die Szechuan-Ebenen - grüne, fruchtbare und intensiv bebaute Niederungen, die nach der spärlich bevölkerten Hochebene von Tibet von Menschen wimmelten. (...)

III. Die Prüfung

Kapitel: Im Gefängnis (Seite 178 - 194)
"Ich muß Ihnen die Politik der Volksregierung Verbrechern gegenüber erklären", sagte der Hauptvernehmungsoffizier. "Es ist einerseits eine Politik der Milde, andererseits eine der Vernichtung. Die Wahl liegt bei Ihnen. Wenn Sie Ihre Verbrechen freimütig gestehen, werden wir versuchen, Ihnen zum Wiedereintritt in die Gesellschaft zu verhelfen. Wenn Sie halsstarrig bleiben, werden Sie rücksichtslos erledigt." Er machte eine Pause, um dies auf mich einwirken zu lassen.
"Die Verantwortung für Ihre Schuld gegen das Volk liegt nicht ganz allein bei Ihnen", fuhr er fort, "und wir berücksichtigen das. Sie sind in hohem Maße ein Opfer der Gesellschaft, in der Sie aufgewachsen sind, aber einen Teil der Schuld tragen Sie selbst. Sie können nur sühnen, wenn es Ihnen gelingt, eine korrekte soziale Weltanschauung zu erringen und durch Umerziehung die grundlegenden Gedankenfehler auszurotten, die Sie zu Ihren Verbrechen veranlaßt haben. Haben Sie verstanden?"
"Ich glaube, hier liegt ein Mißverständnis vor", sagte ich. "Ich bin kein Verbrecher. Die tibetische Regierung hat mich in rein rechnischer Funktion verwendet. Ich habe einen ausführlichen Bericht über meine Tätigkeit in Tibet gegeben, und wenn Sie alle Tatsachen beisammen haben, werden Sie sehen, daß ich die volle Wahrheit berichtet habe." (...)
"Was meinen Sie zu der Befreiung Tibets?"
"Ich glaube, die Tibeter wünschen nicht befreit zu werden."
"Haben Sie ihnen geraten, Widerstand zu leisten?"
"Sie haben mich nicht um Rat gefragt."
"Antworten Sie mit Ja oder Nein."
"Nein."
"Haben Sie ihnen geholfen, Widerstand zu leisten?"
"Ich habe meine technischen Aufgaben als tibetischer Regierungsbeamter weiter ausgeübt." (...)
Die Tibeter spielten immer die Chinesen und die Engländer gegeneinander aus. Sie konnten offensichtlich gar nicht anders handeln, wenn sie ihre Unabhängigkeit bewahren wollten, und das war ihr einziges Ziel. Ihr Unglück war, daß sie zwischen zwei Mächten eingezwängt waren, die einander mit Mißtrauen und Furcht betrachteten. Chinas Tibetpolitik war von ähnlichen Beweggründen wie die Englands beherrscht: Es wünschte, sein Handelsmonopol zu wahren, und besonders lag ihm daran, seine Südwestgrenze gegen den britischen Imperialismus zu sichern, mit dem es schon bittere Erfahrungen gemacht hatte. Der Unterschied bestand darin, daß China über Tibet zu herrschen wünschte, während England nur einen autonomen Pufferstaat erstrebte. England konnte daher als Schützer der tibetischen Unabhängigkeit auftreten, aber schon Sir Charles Bell hatte darauf hingewiesen, daß es schwierig sei, den Chinesen auf die Frage zu antworten, warum wir erklärten, Selbstregierung sei wohl etwas Gutes für Tibet, aber nicht für Indien.
All dies war jetzt aber nur noch Geschichte, und das britische Interesse an Tibet hatte mit der Machtübergabe in Indien aufgehört. (...)

Kapitel: Die Dunkelzelle (Seite 203 - 211)
Plötzlich änderte Kao seine Taktik.
"Ich kann keine Zeit mehr mit Ihnen verschwenden", sagte er am Ende eines langen und fruchtlosen Verhörs. "Ich werde Sie nicht mehr holen lassen. Sie können in Ihre Zelle zurückgehen und verfaulen."
Es war der richtige Ort zu verfaulen. Bei Tagesanbruch wurde gepfiffen, und das war das Signal für mich, auf dem Podium, das mir als Bett diente, zu sitzen. Dort mußte ich sitzen bleiben, bis zehn Uhr abends wieder gepfiffen wurde.
Sechzehn Stunden sitzen. Es war mir nicht erlaubt, zu stehen oder zu liegen, nicht einmal, mich zurückzulehnen. Wenn ich den Kopf auf mein Kissen legte, brüllten mich die Wärter an, die mit ihren Maschinenpistolen Tag und Nacht im Korridor patrouillierten und alle paar Minuten an meiner Zelle vorbeikamen. (...)

Kapitel: Geständnis (Seite 225 - 233)
Warum gestand ich Verbrechen, die ich begangen hatte? Die meisten, die diese Frage an mich richten, erwarten die Antwort, daß man mich gefoltert habe, um ein falsches Geständnis zu erpressen. Das trifft nicht zu. Es wäre sogar ungenau, zu behaupten, mein Geständnis sei den Seelenqualen zuzuschreiben gewesen, die ich auszuhalten hatte; denn deren Zweck war, aus mir das herauszubekommen, was sie für die Wahrheit hielten. Dies trug allerdings dazu bei, meinen Zustand zu verschlimmern, und verstärkte daher meinen Wunsch herauszukommen, aber das war auch alles.
Andere wiederum erwarten, ich würde sagen, es sei ein Ergebnis der mir zuteil gewordenen Schulung - es sei ihnen gelungen, mich davon zu überzeugen, daß die von mir eingestandenen Verbrechen tatsächlich von mir begangen worden wären. Auch das stimmte nicht. Wahr ist, daß ich schließlich teilweise der Verführung zum Kommunismus erlag; aber zur Zeit meines Geständnisses war der Ansteckungsgrad sehr gering.
Ich habe einfach deshalb ein falsches Geständnis abgelegt, weil ich es für die beste Möglichkeit hielt herauszukommen; in der Tat war es auch die einzige Möglichkeit.
Man hat mir viele Lügen erzählt, mich bedroht und Ultimaten gestellt, die nie vollzogen wurden, aber eines war sicherlich wahr. "Niemand wird freigelassen, solange er nicht gestanden hat", sagte Fan. "Das ist weder bisher geschehen, noch wird es je geschehen."
Ich zweifelte nicht daran, daß britische Regierung versuchen würde, meine Freilassung zu erwirken, und so war es auch. Ich war ebenso sicher, daß die Chinesen auf solche Vorstellungen erst dann reagieren würden, wenn sie es für politisch zweckmäßig hielten. Und das war unwahrscheinlich. Wenn ich also jemals hier herauskommen wollte, mußte ich es aus eigener Kraft tun. "Gestehe dein Verbrechen und lebe! Verheimliche es und stirb!" so lautet eines der Schlagworte, die an den Wänden der außerhalb des Gefängnisses liegenden Verhörbaracken angebracht waren, zu denen ich manchmal gebracht wurde. (...)
Im Geiste meiner britischen Erziehung fragte ich mich, ob es nicht möglich sei, einen Kompromiß zu finden. Jedes von mir abgelegte falsche Geständnis mußte vier Bedingungen erfüllen. Erstens durfte es niemanden bloßstellen, der sich in kommunistischen Händen befand; da ich annahm, daß Fox in Sicherheit war - und er war es gewiß -, brauchte ich hier nicht auf Schwierigkeiten gefaßt zu sein. Zweitens mußte es glaubhaft sein. Das war schwierig, aber nicht unmöglich, falls sie auf einen Kompromiß eingingen; taten sie es nicht, war es hoffnungslos. Drittens mußte mein Geständnis so weit gehen, daß es die veröffentlichten Beschuldigungen bestätigte, und viertens durfte es nicht so weit gehen, daß es ein Todesurteil oder lebenslängliche Haft zur Folge haben konnte. Die Hauptschwierigkeit bestand darin, die dritte und vierte Bedingung in Einklang zu bringen; aber es war vielleicht möglich, wenn sie bereit waren, mich bei gewissen Wortverdrehungen zu unterstützen, worin sie ja Meister waren.
Ich verbrachte viele Tage und Nächte damit, all dies zu überdenken und zu erwägen, wie weit ich wohl, ohne mir zu schaden, gehen könnte. Und endlich mußte ich mein Gewissen fragen, ob ich es überhaupt versuchen sollte. Diese Frage ließ ich bis zuletzt, weil ich mich nicht moralischer Probleme wegen beunruhigen wollte, solange ich nicht sicher war, ob mein Plan durchführbar war und sie überhaupt zur Diskussion stehen würden. Ich mußte der Tatsache ins Auge sehen. Ich war im Begriff, Verbrechen zu gestehen, die ich nicht begangen hatte, bloß um mich in Sicherheit zu bringen. Die Tatsache, daß dies feige war, stört mich nicht. Ich hatte mir nie die moralische Charakterstärke eines Märtyrers zugemutet und war mir bei der panikartigen Flucht aus Chamdo meines Selbsterhaltungstriebs peinlich bewußt geworden. Es gab nichts, was mich zur Heldenhaftigkeit veranlaßt hätte; wenn ich standhaft blieb, konnte ich damit niemandes Leben retten, kein Geheimnis bewahren oder Kommunisten daran hindern, irgendeinen Vorteil zu erringen. Es bestand kein zwingender Grund, warum ich nicht "gestehen" sollte.
Trotzdem - ich weiß, es klingt "brav", aber ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll - war mir der Gedanke, mich durch Lügen aus meiner Notlage zu befreien, zuwider. Es wurde dadurch noch schlimmer, daß ich Lügen von besonders entwürdigender Art erzählen mußte. Es handelt sich nicht darum, zu lügen, um eine Schuld zu verheimlichen, was sündhaft ist, aber nicht notwendigerweise erniedringend sein muß. Ich würde erbärmliche Lügen erzählen müssen, mit denen ich mich selbst erdichteter Verbrechen beschuldigte, und mich in der Weise entwürdigen müssen, wie es Huang jetzt tat. Ich würde nicht nur Sünden beichten müssen, die ich nicht begangen hatte, ich würde auch Reue heucheln müssen.
Diese Bedenken wären sofort geschwunden, wenn ich jemandem zu Nutzen oder zu irgendeinem anderen selbstlosen Zwecken gelogen hätte, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Durch Lügen würde ich die andere Seite verraten - nicht bloß mein Land, sondern die ganze nichtkommunistische Welt. (...)
So rechtfertigte ich mich vor meinem Gewissen oder beruhigte es wenigstens. Zweifellos machte ich es mir ein wenig zu leicht, so wie sich etwa Eltern einreden mögen, was ihnen am besten paßt, sei auch für die Kinder das beste, oder wie sich ein Wähler einreden mag, daß durch ein glückliches Zusammentreffen die Partei, die ihm selbt wahrscheinlich die meisten Vorteile bietet, auch die beste für die ganze Nation sei. Tatsache war, daß ich Ideale der Zweckmäßigkeit unterordnete, und dies lastet heute noch auf meinem Gewissen. (...)

Kapitel: Ausgequetsche Zahnpasta (Seite 237 -240)
Im April schrieb ich das nieder, was man die endgültige Fassung meines Geständnisses nennen könnte, und als ich es unterzeichnete, wurde ich fotografiert. Es war ein typisches, von den Kommunisten abgerungenes Geständnis, das so voll von Selbsterniedrigung und Parteijargon war, daß jeder, der mich kannte, aus dem Wortlaut hätte ersehen können, daß es von jemand anderem stilisiert worden war. Aber eine deratige Annahme verkannte die kommunistische Technik vollständig. Ein Geständnis ist nie von anderen für einen Gefangenen geschrieben, er muß die richtignen Worte selbst finden. (...)

Kapitel: Freiheit (Seite 268 - 278)
Obwohl Ngabö die Khambas verraten hatte, setzen sie ihren Widerstand noch ein Jahr nach Unterzeichnung des Vertrages fort, bis sie der Dalai Lama persönlich bat, die Waffen niederzulegen. Und im Frühjahr und Sommer 1956 noch gab es einen abschließenden Aufruhr in Ost- und Nordosttibet, bei dem chinesische Garnisonen niedergemetzelt wurden. Hätte man 1950 Freischärler organisiert, hätten diese die Invasion unermeßlich erschweren können. Der Unabhängigkeitsgeist ist immer noch sehr lebendig; wie lange er noch anhalten kann, ist nicht so einfach zu sagen. Es wird behauptet, die Chinesen beabsichtigten, die Bevölkerungszahl Tibets von den jetzigen zwei bis drei Millionen auf zehn Millionen zu steigern, und das kann nur eine chinesische Kolonisation in großem Umfang bedeuten. Schließlich werden die Tibeter noch ihrem eigenen Lande von den Chinesen an Zahl übertroffen werden. (...)
Tibet war rückständig und feudal, aber niemand darbte. Der größte Teil des Volkes war arm, aber es gab keinen Hunger und viel Glück. Materieller Fortschritt war überfällig, aber er war schon im Kommen; meine eigene Tätigkeit war ein Zeichen dafür. (...)
Ich schwärme nicht für das Mittelalter und halte es für äußerst wichtig und nützlich, den Lebensstandard zu heben. Aber nicht um diesen Preis. Nichts vermag die Vernichtung der Gedankenfreiheit, der wichtigsten Freiheit, aufzuwiegen. Ein gesunder, wohlgenährter Roboter ist ein dürftiger Ersatz für einen Menschen.



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