Rundfunk in Österreich 1924 - 1938


Aus der RAVAG wird der Reichssender Wien

von Theodor Venus - mit freundlicher Genehmigung des Autors

Umso überraschender, ja dramatischer gestaltete sich für die meisten Österreicher wohl der Ablauf dieses 11. März 1938. Und der Rundfunk dürfte für die meisten von ihnen, vor allem für jene Hörer außerhalb Wiens, das wichtigste „Ohr zur großen Welt“ gewesen sein. Der geänderte Programmablauf, durch die dramatischen Vorgänge auf der politischen „Bühne“ bedingt, allem voran die Abschiedsrede Schuschniggs an das österreichische Volk, bildet selbst eines der aufwühlendsten Elemente im Gesamtzusammenhang der Ereignisse dieses Tages.
Abweichungen vom angekündigten Tagesprogramm hatte es bereits seit mittag aufgrund zweier politischer Ansprachen gegeben, eine davon hielt Oberst Walter Adam. Nach Adam sollte an diesem Tag noch ein Aufruf des burgenländischen Landeshauptmanns und Schuschnigg-Freunds Hans Sylvester folgen, doch dazu kam es nicht mehr. Eine große nationsozialistische Kundgebung in Eisenstadt stoppte den dorthin übersandten Übertragungswagen der Ravag.
Die nächste Hiobsbotschaft erreicht die Ravag aus dem Bundeskanzleramt: Schuschnigg hatte die Volksbefragung wegen des Drucks aus Berlin vorerst verschoben. Die Meldung, die von der Ravag um 18 Uhr 10 ausgestrahlt und auch sofort als Sensation durch Extraausgaben nationaler Blätter verbreitet wurde, löste - sicher ungewollt - auch nationalsozialistische Demonstrationen im Zentrum Wiens aus. In der Ravag selbst hatte seit dem Jahre 1932 eine nationalsozialistische Betriebszelle unter der Führung zweier Techniker, Max Lange und Friedrich Ritzberger, während des NSDAP-Parteiverbots weiter existiert. Die Nationalsozialisten in der Ravag waren schon seit der Bestellung Seyß-Inquarts zum Innenminister wieder offen hervorgetreten und hatten auch den Kontakt zur illegalen Landesleitung und zum deutschen Botschafter in Wien, Franz von Papen, (wieder) aufgenommen.
Nachdem Schuschnigg kurz vor 20 Uhr seine berühmte Rundfunkrede mit dem „Gott schütze Österreich“ beendet hatte, nahm nun Lange telefonisch den Kontakt mit den im Bundeskanzleramt weilenden Vertretern der NSDAP-Landesleitung und Mitgliedern der Bundesregierung, wie Friedrich Rainer, Dr. Hugo Jury und Dr. Arthur Seyß-Inquart, auf und erbot sich kurz nach 20 Uhr, für eine geordnete Übergabe und einen weiteren ungestörten Sendeablauf Sorge zu tragen. Im Gegenzug kommandierte die Landesleitung eine aus SS- und SA-Angehörigen bestehende Abteilung des „Deutschen Turnerbundes“ zur Sicherung der Ravag ab, wo diese jedoch erst gegen 22 Uhr eintraf. Die das Funkhaus sichernden Einheiten von Polizei und Bundesheer setzten ihrem Eindringen über Weisung keinen Widerstand entgegen, schon deshalb nicht, weil bereits Seyß-Inquart in einer kurzen Rundfunkansprache im Anschluß an die Rede Schuschniggs die nationalsozialistischen Formationen quasi als Ordnungshüter legalisiert hatte.
Im Ravag-Gebäude hatte, außer dem Chef vom Dienst Dr. Otto Stein, Generaldirektor Oscar Czeija gemeinsam mit Nachrichtendienstchef Erich Kunsti und dem technischen Direktor Gustav A. Schwaiger seit 18 Uhr die weiteren Ereignisse abgewartet. Obwohl der Techniker Max Lange de facto seit den frühen Abendstunden das Heft in der Hand hielt, verließ Czeija erst nach dem Eintreffen Franz Pesendorfers und nach der um 23 Uhr erfolgten Benachrichtung der Ravag von der Regierungsbetrauung Seyß-Inquarts seinen Posten: Aufgrund einer Weisung des künftigen Ministers Dr. Hugo Jury übergab Czeija den Betrieb an Franz Pesendorfer, dessen journalistische „Erfahrung“ sich auf die Redigierung des Turnerbundblattes beschränkte. Lange blieb für die Aufrechterhaltung des Sendebetriebs verantwortlich.
Eine der ersten Aktionen der neuen Sendeleitung bestand in der Änderung des Musikprogramms: das Horst-Wessel-Lied, der Badenweilermarsch und andere nationale Märsche wechselten in der Programmfolge einander immer wieder ab, unterbrochen nur durch Ankündigungen von bevorstehenden wichtigen Verlautbarungen. Kurz nach Mitternacht, am 12. März 1938, gab es dann die erste kurze Ansprache Hugo Jurys, die die Mitteilung mit der Betrauung Seyß-Inquarts enthielt. Wenig später begab sich Theo Ehrenberg, der 1934 mit der Durchsage vom Rücktritt des Kabinetts Dollfuß und der angeblichen Übertragung der Regierungsgeschäfte an Rintelen schon einmal „Geschichte“ gemacht hatte, mit dem Mikrophon auf die Straße,. um ein „Stimmungshörbild“ vom „Umbruch“ zu geben. Endstation seiner Propagandatour bildete das Bundeskanzleramt, von wo aus die Reden Seyß-Inquarts und anderer Regierungsmitglieder an die vor dem Gebäude versammelten NS-Formationen übertragen wurden.
Die Sendefolge des nächsten Morgens begann mit einem „Gruß des nationalsozialistischen Österreich“ an den Führer, worauf erneut die „Lieder der Nation“ (das Deutschland- und Horst Wessel-Lied) folgten. Die für diesen Tag angesetzten Vorträge mußten den politischen Umständen weichen. Das Programm setzte sich an diesem Tag wie an den folgenden vornehmlich aus Marschmusik zusammen, unterbrochen zumeist durch kurze Verlautbarungen, vor allem Aufrufe an Parteiformationen zur Dienstleistung und anderes. Wichtiger waren die in diesen Tagen erfolgten rundfunk- und personalpolitischen Weichenstellungen. Zunächst erhielt die Mehrzahl der bis zum Abend des 11. März im Amt befindlichen Direktoren (Oscar Czeija, Rudolf Henz, Hans Nüchtern) und anderen leitenden Angestellten Hausverbot und wenig später die vorläufige Suspendierung vom Dienst. An ihre Stelle traten die vom Propagandministerium und über Wunsch Josef Bürckels in Marsch gesetzten deutschen Rundfunkleute, die unter der Führung des Saarbrückner Intendanten Adolf Raskin schon am 13. März und im Verlauf der nächsten Tage in Wien mit dem Auftrag eintrafen, die organisatorisch-technische Eingliederung der Ravag in den Reichsrundfunk zu gewährleisten, den Sendebetrieb weiter aufrechtzuerhalten und die für den 10. April 1938 angesetzte Volksabstimmung über den „Anschluß“ propagandistisch vorzubereiten. Die formelle Leitung des „Deutschösterreichischen Rundfunks“, wie die Ravag seit dem 13. März hieß, lag dabei zwar bis auf weiteres beim „kommissarischen Intendanten“ Franz Pesendorfer, doch agierte dieser spätestens seit dem Eintreffen Raskins nur noch entsprechend den Weisungen aus Berlin bzw. jenen Bürckels. Mit der am 27. April erfolgten Ernennung des Generaldirektors des Reichsrundfunks, Heinrich Glasmeier, zum kommissarischen Verwalter war auch formell eine Personalunion zum Berliner Reichsrundfunk hergestellt. Im Juli 1938 wurde Pesendorfer auch offiziell von Raskin in seiner Funktion abgelöst.
Der weitere Gleichschaltungsprozeß des österreichischen Rundfunks mit dem Reichsrundfunk erfolgte auf mehreren Ebenen im Verlauf der nächsten Monate. Als ersten Schritt nahm Glasmeier im Auftrag des Reichspropagandaministeriums Verhandlungen mit den bisherigen Eigentümern der Ravag wegen Übernahme sämtlicher Aktien - staatlicher wie privater - durch die Reichs-Rundfunkgesellschaft (RRG) auf. Die privaten Kleinaktionäre wurden genötigt, ihre Anteil der RRG weit unter dem realen Wert zu überlassen, während sich die Verhandlungen mit den staatlichen Körperschaften bis zum Frühjahr 1939 hinzogen. Der reale Angleichungsprozeß in Verwaltung und Programmgestaltung war zu diesem Zeitpunkt praktisch längst abgeschlossen.
Schon in den ersten Tagen nach dem „Anschluß“ hatte die neue Rundfunkführung sowohl im Auftrag des „Landeskulturamtes“ der österreichischen Landesregierung wie auch später im Auftrag Berlins bzw. des Reichskommmissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich eine größere Zahl von Entlassungen ausgesprochen und Neueinstellungen in größerem Umfang verfügt: Allein bis Anfang Juni 1938 wurden ca. 40 ehemalige Ravag-Mitarbeiter entlassen, einige davon landeten nach Mißhandlungen im KZ. Die Neueinstellungen rekrutierten sich in der Mehrzahl aus Partei-sowie „verdienten“ alten SA- und SS-Angehörigen. Da der RRG jedoch mehrfach Klagen von seiten ehemaliger Angestellter wegen ungerechtfertigt ausgesprochener Kündigungen drohten, kam es im Juni 1938 zur Einsetzung einer Kommission, die sämtliche Kündigungsfälle und auch die übrige Belegschaft einer nochmaligen (politischen) Überprüfung entsprechend den Bestimmungen des auf Österreich übertragenen Berufsbeamtentumsgesetzes unterzog. Am Ende der Beratungen wurden Kündigungen in mehr als 20 Fällen aufrechterhalten, wovon zehn aus „rassischen“ und weitere neun aus „politischen“ Gründen erfolgten.

Eine größere Anzahl, vor allem ehemals leitende Angestellte, mußte erhebliche Gehaltsabstriche in Verbindung mit Zuweisung von Tätigkeiten minderer Qualifikation hinnehmen. Da der technische Sendebetrieb sowie die Einhebund der Teilnehmergebühren im Reich (anders als in Österreich) von der Reichspost besorgt wurde, schied das bisher damit befaßte Ravag-Personal aus dem Dienstverhältnis des Reichsrundfunks und wurde von der Reichspost übernommen. Im Zusammenhang damit wurde auch der bereits seit 1927 bestehende Pensions- und Unterstützungsfonds, dessen Kassen aufgrund seines langjährigen Bestehens reich gefüllt waren, aufgelöst, jedoch nur zum Teil in Form von Abfindungen an entlassene Angestellte bzw. durch Umwandlung in Altersvorsorgeverträge zweckentsprechend verwendet; ein nicht geringer Rest floß in die Kasse der RRG bzw. der Reichsbehörden.
Mit dem Anschluß des „Deutschösterreichischen Rundfunks“ an die RRG verlor der Wiener Sender auch seine zentrale Bedeutung als deutschsprachiger Sender und Widerpart Berlins in der Vermittlung von Kultur, Wissenschaft und nicht zuletzt in der politischen Meinungsbildung. An Stelle dessen trat ein Selbstverständnis, das den Wiener Sender nunmehr „als Träger des deutschen Gedankens im südosteuropäischen Rundfunkraum“ sah (Pesendorfer). Exakt in diese Richtung zielte der propagandistische Einsatz, den die neuen Rundfunkmachthaber dem Sender Wien bereits während der Herbst- und Wintermonate 1938/39 aufoktroyierten: In tschechisch-, slowakisch- und ukrainischsprachigen Sendungen sollte der „Anschluß“ des Sudetenlandes, die Abspaltung der Slowakei und die Unterwerfung der Rest-Tschechoslowakei unter deutsche Herrschaft sowie in weiterer Folge der Feldzug gegen die Sowjetunion vorbereitet werden. Umgekehrt sah das Konzept der verwaltungsmäßigen Aufspaltung Österreichs und dessen möglichst enge kulturelle Integration in das „Altreich“ keine Gestaltungsspielräume für Eigenprogramme des Wiener Senders in größerem Ausmaß vor.
Vielmehr zielten alle Maßnahmen der nationalsozialistischen Rundfunkführung letztlich darauf ab, alle Spuren eines ehemals einheitlichen österreichischen Rundfunks zu beseitigen. Das früher auf Wien als kulturell-politischen Mittelpunkt ausgerichtete Sendernetz wurde zugleich mit der formellen Auflösung der „alten“ Ravag zerschlagen: Die Sender Innsbruck, Salzburg und Dornbirn wurden den Reichssendern München und Stuttgart zugeteilt, während der Sender Graz im Zuge des Balkanfeldzuges zum „Reichssender Alpen“ ausgebaut wurde und eine selbständige Stellung gegenüber Wien erhielt.
Der „Reichssender Wien“ aber, wie er seit Herbst (err.: dem 30. März) 1938 offiziell hieß, spielte im Konzert des Reichsrundfunks eine ziemlich untergeordnete Rolle, obwohl er über ein gänzlich neues, nach modernsten technologischen Maßstäben errichtetes Funkhaus und über einen überaus leistungsfähigen, weitreichenden Sender verfügte. Die Zerstörungen, die das Naziregime gerade an diesen beiden Objekten, Funkhaus und Sender, hinterließ, belasteten noch durch mehr als ein Jahrzehnt den Wiederaufbau eines neu erstandenen Österreichischen Rundfunks.


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