Amateurfunkgeschichte Deutschland, Folgen 64-67


(67) Abschluss: Rückblick und Fazit

Nicht ohne Stolz darf behauptet werden, dass die vorliegende Darstellung die bislang größte gesamthafte Forschungsarbeit zu den knapp neunzig Jahren deutscher Funkgeschichte ist – und die erste, die sich ausschließlich auf fundiertes Quellenmaterial stützt. Das unterscheidet sie von den Ansätzen und Leistungen jener Pioniere, die mit ihren Kompilationen um ein historisches Abbild bemüht waren[1], aber auch von jenen, die Listen, lokale und regionale Chroniken, Biografien und dergleichen verfassten, in jüngerer Zeit vorzugsweise auch im Internet. Die einzige der unseren vergleichbare, auch wesentlich umfangreichere historische Leistung (und als solche wird sie bestehen) ist die in Buchform veröffentlichte Dissertation von Christian Senne zur Geschichte des Amateurfunks in der DDR.[2] Aber auch diese Arbeit ist geradezu symptomatisch dafür, wie eng gesetzt dem Historiker die Grenzen des Möglichen sind und wie sehr der Stolz auf das Geleistete durch das Ausmaß des Unvermögens getrübt wird.

Funkgeschichte und die Grenzen des Möglichen

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Das Bemühen um Redlichkeit scheitert an der Faktenlage: Welches Geschehnis ist – wie dürftig oder ausufernd - aktenkundig oder sonst wie belegt? Welche Aufträge und Absichten motivierten die Verfasser? Ist allein der Umstand, dass reiches Quellenmaterial vorliegt, ein Beleg für die Bedeutung des Dargestellten; umgekehrt: beweist der Mangel an Belegen die Marginalität eines Umstands oder Ereignisses?
Dazu drei Beispiele, die dieses Dilemma illustrieren:
- Wir wissen, dass der junge DASD von der Reichswehr zumindest im technischen Bereich (Bauteile und Geräte) alimentiert wurde, und dass diese Unterstützung nach 1933 von der Wehrmacht (Marine) fortgesetzt wurde. Dazu gibt es vereinzelte Schriftstücke[3]. Aber: Wie bedeutsam war die Finanzierung seitens des Propagandaministeriums für den Bestand des DASD und in welche Abhängigkeiten führte sie?[4]
- Wir wissen, dass es zwischen 1935 und 1937 in großem Rahmen eine klandestine Funkausbildung für die Marine gab, in die der DASD widersprüchlich eingebunden war; wir haben in mühsamster Detailarbeit Puzzleteile an Erkenntnissen zusammengeführt; wir kennen die Namen der Protagonisten. Aber: Wie ist zu erklären, dass ausgerechnet die Hauptperson, die in allen Lagern (Partei, Marine und DASD) führend vertreten war, nach nur kurzer Mitgliedschaft offiziell die NSDAP verlassen hatte?[5]
- Wir wissen, dass jüdische und marxistische Funkamateure spätestens ab der „Umbildung“ des DASD unter Repressalien zu leiden hatten. Aber: Wer ist jemals den Schicksalen der Betroffenen nachgegangen, von ihrer Ausgrenzung und Emigration bis zur physischen Vernichtung?

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Dies sind drei Beispiele nur von vielen, und mit Absicht aus der Frühzeit des Verbandes gewählt, um auf ein weiteres Dilemma des Historikers hinzuweisen: Alles, was mehr als zwei Generationen zurück liegt, lässt sich nur noch nach der Überlieferung und dem Hörensagen nachvollziehen, ist also der unmittelbaren Nachfrage entzogen. Andererseits: auch Augenzeugen sind nur begrenzt authentisch – je nach ihrer tatsächlichen oder behaupteten (vermeinten) Rolle, Position und Einbindung in ein Geschehen, ihrer unbeeinflussten Erinnerung, ihrer Anfälligkeit für Rationalisierung, Spekulation und Legendenbildung, ihren persönlichen Ressentiments, ihrem Lokalpatriotismus usw. Gerade in Konfliktsituationen – und alle historischen Schnittstellen und Knotenpunkte sind konfliktisch – ist abwägend Vertrauen und Zweifel in die Darstellung geboten.
Auch dies möge beispielhaft an drei Wendemarken deutscher (Funk-)Geschichte demonstriert werden, die scheinbar unterschiedlicher nicht hätten sein können und doch typische Wesenszüge gemein haben:
- 1933, 1945 und 1989 waren Jahre grundlegender Umbrüche mit radikalem Paradigmenwechsel. Von diesem Wertewandel waren alle Einzelpersonen und Gruppierungen zutiefst betroffen, so auch die vorgeblich im politischen Freiraum tätigen Funkamateure. Wie in jeder Gemeinschaft gab es da die ideologisch Überzeugten, die Opportunisten, die Wendehälse und Profiteure, die Täter, Opfer und Mitläufer, die Gegner und Denunzianten, die Heuchler und die tatsächlich oder angeblich abstinent Unbeteiligten. Und jedes Mal wurde ja nicht das gesamte Personal ausgewechselt. Wie die Juristen, Bäcker oder Zahnärzte waren auch die Funkamateure dieselben wie bisher, nur eben jetzt „Träger“ einer „neuen Zeit“. Und jeder Einzelne durchlebte an jedem dieser gesellschaftlichen Zeitenwenden einen kontradiktischen Rollenwechsel: Aus Siegern wurden Verlierer, und umgekehrt. Jeder musste sich in dieser Situation neu positionieren, sich eine neue Rolle zulegen. Von diesen schwer wiegenden persönlichen Entscheidungen waren alle Lebensbereiche betroffen, also auch die Funktätigkeit. Wer das Hobby nicht preisgeben wollte, musste für die bisherige Tätigkeit und Einbindung eine plausible Erklärung konstruieren, musste sich aber auch, oft in einem schleichenden Prozess der Teilhabe und Teilnahme an der weiteren Entwicklung irgendwie arrangieren. Solcherart konnte niemand, der blieb, der Verstrickung entgehen – und somit der Tatsache, beim nächsten gesellschaftlichen Umbruch erneut zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die erste Funkergeneration musste diese Erfahrung zwei- oder gar dreimal machen, die einen im „Osten“, die anderen im „Westen“ unter gesellschaftlich konträren Bedingungen, aber gemeinsamer Vergangenheit. Ist es da ein Wunder, wenn sich da Fakten absichtlich oder unabsichtlich im Nebel verlieren? Dürfen wir Nachgeborenen den Betroffenen überheblich Zensuren ausstellen? (Die verdiente Verurteilung der wahren Übeltäter natürlich ausgenommen – sie sind ohnedies meist straflos davon gekommen.) Dürfen wir monieren, dass in der DDR einige der „überzeugten Antifaschisten“ nachweislich NSDAP-Funktionäre waren - und dass auch die BRD durchaus einen Hakenkreuzler für seine Funk-Meriten mit dem Bundesverdienstkreuz dekorierte?
- Besonders exemplarisch zeigt sich dieser Zustand bei der Aufarbeitung der jüngsten „Wende“ und der Eingliederung des DDR-Verbandes in den DARC. Dieser Prozess ist gekennzeichnet einerseits von Verdrängung (etwa dem massenhaften „Verlust“ von Dokumenten - Mut zur Vergangenheitsbeseitigung als Scheinlösung) und andererseits von gegenseitiger Verständnislosigkeit und persönlichen Diffamierungen. Da fordern die einen ein Tribunal für Bauernopfer, die sich angeblich zu schäbigster Propaganda hergegeben haben – und die anderen schütteln bloß den Kopf, sind ihnen doch die staatsmachtlichen Mechanismen vertraut, so etwa der pragmatische „Doublespeak“, der z.B. die Genehmigung einer Fuchsjagd garantiert, sofern sie in Erfüllung der Direktive des x.ten Plenums des x.ten Parteitags der SED als wehrsportliche Funkübung im Abwehrkampf des Arbeiter- und Bauernstaates gegen die kapitalistisch-imperialistische EKF[6] beantragt wird, was dann alle Beteiligten in vollem Bewusstsein der Beschönigung zu allseitigem Nutzen absegnen.
Der Umstand, dass „jeder alles über alle weiß“ hat nach 1933, 1945 und 1989 auf beiden Seiten dazu beigetragen, den kollektiven Rechtfertigungszwang durch demonstrativen Schulterschluss (auch: des Schweigens) zu entschärfen. Es galt und gilt (vereinfacht zitiert) die Trias der Grundlagen jedes gruppendynamischen Prozesses: Gemeinsame Feinde, gemeinsame Freunde, gemeinsame Ziele.[7] Ist es da nicht verständlich, wenn auch aus der Sicht des Historikers beklagenswert, dass z.B. der DARC nie öffentlich belegtes Interesse daran zeigte, welche in der DDR (und später in der Bundesrepublik) lizenzierten Funkamateure unter OSL Reiher in der Abteilung 10 der Hauptabteilung III des MfS (Funkaufklärung und Funkabwehr) auf den DARC und seine Mitglieder und Funktionäre angesetzt waren?[8] Kann man da nicht nachvollziehen, warum z.B. die heftige Korrespondenz zum Entstehen der Erfurter Vereinbarung vom 29. September 1990[9] von den meisten Beteiligten in Privatbesitz gehortet wird, nicht aber der Forschung zur künftigen Nutzung zur Verfügung steht? (Zur künftigen Nutzung, denn die gesetzliche Fristsetzung sichert ohnedies den vollen Persönlichkeitsschutz der Akteure.)

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Anders zu sehen und zu beurteilen ist vorsätzlicher Kommunikationsverzicht ausgerechnet in einem Umfeld, das sich doch explizit einem Kommunikations-Medium verschrieben hat. Je krisenhafter die Situation wird – und der allgemeine Rückgang im Amateurfunkwesen ist nicht zu verleugnen – umso restriktiver wird mit Hintergrundinformation umgegangen, keineswegs aus mangelnder Professionalität, sondern erklärtermaßen: Um nicht Dritte mit brisanten Details zu munitionieren, um nach Außen hin Geschlossenheit zu bekunden, um eine als unqualifiziert eingestufte Meinungs-Opposition zu unterbinden. Zwar verspricht jede neu antretende Funktionärsriege Besserung, aber unterm Strich wirkt sich die Situation weiterhin kontraproduktiv aus: Was man verhindern möchte, das Brodeln der Gerüchteküche, die Querschüsse der Heckenschützen, die Besserwisserei der Unverbesserlichen, all dies schießt nun um so mehr ins Kraut; und so wächst das gegenseitige Misstrauen. Statt in schwierigen Zeiten alle Synergien zu nutzen, beäugt man einander mit vorsorglichem Argwohn. Dem Historiker und Chronisten fällt es in solcher Gegebenheit schwer, zwischen Sumpf und festem Boden zu unterscheiden.

4
Wir haben drei Ursachen aufgezeigt, die dazu führen, dass belegte und nachvollziehbare Fakten fehlen: Der zu große zeitliche Abstand, politisch-tektonische Verschiebungen und restriktive Kommunikationsstränge. Was aber bleibt dann dem Chronisten an Gestaltungsmaterial? Nur entweder die Alternative der Auslassung (wie sie in dieser Kleinen Deutschen Amateurfunkgeschichte praktiziert wird) oder die künstliche Linienziehung per Hypothese, das manchmal unvermeidliche und stets verfänglichste Instrument des Historikers.

Funkgeschichte als permanente Sinnsuche

Die Darstellung einer Abfolge von Einzelereignissen und ihrer Wirkungsgeschichte – wenn auch in den vergangenen 66 Folgen durchaus ausführlich – läuft doch Gefahr, dass der Blick aufs Detail die Analyse des Ganzen trübt: Unverkennbar, in deutlich abgegrenzten Phasen und Schüben, zeigen die Entwicklungslinien den Amateurfunk und dessen Betreiber auf der steten Sinnsuche. Und ebenso unverkennbar ist, dass diese Phasen und Schübe, bedingt durch technologische wie politische Eruptionen, in immer kürzeren Zeitabständen zu immer neuer (und immer enger gezogener) Selbsteinschätzung und –darstellung zwingen.
Lassen wir, zur Probe aufs Exempel, diese fast neunzig Jahre in zeitraffender Verknappung Revue passieren:

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Gegründet wurden die Funkverbände allesamt als Selbsthilfe- und Trutzgemeinschaften: Selbsthilfe, weil es galt, völliges Neuland zu betreten und jede Handhabe erst einmal beschafft, experimentell erforscht und in der Praxis erprobt werden musste. Trutzgemeinschaft, weil es galt, den Widerstand und die Hinhaltetaktik der staatlichen Allmacht und ihrer Behörden zu brechen. David gegen Goliath, Listenreichtum gegen Willkür, der Reiz des Verbotenen; das Wir-Gefühl getragen von der Faszination, Teil einer weltweiten Verschwörer-Gemeinschaft zu sein. Verbandszugehörigkeit war so selbstverständlich wie unerlässlich, der Organisationsgrad annähernd hundertprozentig.
Spätestens der Nationalsozialismus erzwang den „Verlust der politischen Unschuld“. Amateurfunk wurde instrumentalisiert: erst in propagandistischer Absicht gefördert, dann halb verboten, halb paramilitärisch reglementiert, zuletzt allenfalls noch für den Endsieg-Kriegsdienst ausgebeutet. Verbandszugehörigkeit und Organisationsgrad waren jetzt aber keine Phänomene der Freiwilligkeit sondern der Zwänge in einem totalitären System.

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1945 bedeutete nicht nur die viel zitierte „Stunde Null“, sondern den Anfang einer sich über mehrere Jahre erstreckenden Wiederherstellung, die in Vielem den Anfängen der Zwanzigerjahre glich und mit der Gründung zweier Staaten und zweier Funkverbände mit Quasi-Monopol endete. Dies war – wie zu den Pionierzeiten - so selbstverständlich wie unvermeidlich. Träger dieser neuen Bewegung waren, über Jahre hinweg, die zunächst unauffällig alternden zwei, drei Vorkriegsgenerationen. Sie, die den Verband wiederbegründet hatten, hielten ihm auch selbstverständlich die Treue.

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Als endlich die erforderliche Kraftanstrengung vollbracht war, sich neu zu konstituieren und man von den traditionellen staatsamtlichen Widersachern nun freundlich toleriert wurde, stellte sich auf einmal die Forderung nach neuer Sinngebung. Die Zeit, da jede Funkverbindung ein experimentelles Abenteuer darstellte, war definitiv vorbei. Fonie war nun ernsthafte Konkurrentin der Telefonie; dem Selbstbau mit bescheidensten Mitteln machte nun ein Angebot an Surplusgeräten und, nur wenige Jahre später, an erschwinglichen kommerziellen Anlagen Konkurrenz. Der „Steckdosen-Amateur“ war geboren und suchte nach neuen Betätigungsfeldern. Nicht immer mit anfeuernder Billigung seitens der „Alten“ suchten und fanden die „Neuen“ neue Sinninhalte: Die Länderjagd, die Diplomjägerei, die Kontest-Euphorie. Man musste also nicht mehr hingebungsvoller Bastler sein, um Funkamateur zu werden (und dem DARC beizutreten). Von nun an ging’s bergauf. Der Verband wuchs, verzweigte sich in immer mehr Distrikte und Ortsverbände, bedurfte einer strafferen Struktur und bekam sie. Und der Erfolg täuschte darüber hinweg, dass längst unter dem gemeinsamen Dach des DARC die Lager geteilt waren. Jetzt brachen die ersten Risse und Sprünge zwischen „oben“ und „unten“ auf, am deutlichsten manifestiert an der heiß diskutierten Frage, ob denn dieser Klub tatsächlich in Baunatal eine eigene „Tintenburg“ brauche – und, in der Folge, ob man denn überhaupt noch einem Verein angehören müsse, in dem „mehr gestritten als gefunkt“ werde.

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Der DARC überstand auch diese Krise. Mehr noch: die Prosperität der Sechziger- und Siebzigerjahre – wohl auch UKW als vereinfachter Zugang (ohne CW!) – beschwerten dem Amateurfunk schier ungebremsten Zulauf. Das allmähliche Wegsterben der Pionier-Generation weckte bei den noch Überlebenden nostalgische Gefühle; aber an Nachwuchs herrschte kein Mangel. Überdies war diese Ära gekennzeichnet vom Vormarsch des Digitalen (Funkfernschreiben, Funkfernsehen…) und des Spektakulären (EME, AMSAT…) Da galt es Neuland zu erobern! Doch konnten und wollten längst nicht mehr alle dabei mitmachen, und so teilten sich die Lager nicht mehr so sehr in „Techniker“ und „Praktiker“ als in eine wachsende Zahl genügsamer Traditions-Hobbyisten und einer Task-Force forscher Technologie-Stürmer. Sie alle suchten und fanden ohne langes und banges Fragen immer noch oder jetzt erst den Sinn ihres Tuns. Der DARC expandierte in einem letzten Aufschwung und bot die Gewissheit, dass man sich mit dem Hobby und denen, die es betrieben, in guter Gemeinschaft befand.

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Der große Umschwung setzte ein, als die bislang individuelle Freizeitgestaltung zum sozialen Massenphänomen mutierte. In der „Wohlstandsgesellschaft“ war das Privatleben nicht ausschließlich ein autonomes Reservat der Selbstbestimmung. Die abendliche Freizeit, das Wochenende gerieten unter den Fremdeinfluss neuer Verlockungen, Möglichkeiten - und sozialer Zwängen. Das Fernsehen, der fahrbare Untersatz, die Tatsache, dass man sich nun (zumindest in der Bundesrepublik) allerlei Geselligkeit und Mobilität „leisten konnte“, schuf Alternativen zum Altgewohnten. Somit drohte auch dem Amateurfunk erstmals Gefahr von außen, ein Verlust an Attraktivität. Noch aber ließ sich diese Entwicklung ignorieren, nicht zuletzt, weil ja auch das Hobby Geselligkeit und Mobilität bot, ob im OV-Abend oder beim Großtreffen. Und die einsetzende Überalterung (weil nun auch die Nachkriegsgeneration in die Jahre kam) und der schleichende Mitgliederschwund ließen sich irgendwie ignorieren. Das markanteste Kennzeichen dieser Phase ist ebendiese großzügige Pauschalierung: „Alles bestens; so, wie es war, so ist es; so, wie es ist, ist es gut.“

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Am Abschluss dieser Phase und am Beginn der vorläufig letzten steht der Aufstieg des PCs von dessen Exklusivität bis zur Eroberung und Beherrschung des Alltags. Hatte man zunächst – zumindest in „progressiven“ Kreisen der Hobbygemeinschaft – auf das durch den Computer eröffnete Potenzial durchaus berechtigt große Hoffnung gesetzt, bewirkte die rasante Entwicklung der IT und ihre gesellschaftliche Dominanz dann aber vielmehr gravierende Einbrüche im organisierten Amateurfunk. Intern wächst die Kluft zwischen den genügsamen „Plauder“- und den unersättlichen „Power“-Funkern. Aufwendige Geräte, an deren Innenleben sich nur noch Spezialisten wagen, raffinierte Antennengebilde, volltransistorisierte Endstufen und ein über Cluster und Internet verfeinertes Informationsmaximum, um im beinharten QSO-Kampf zu siegen – das Protzen mit dem Superlativ ist der vorläufige scheinbare Endpunkt der Sinngebung.
Heute lassen Skype und Navi, Mobiltelefon und Sat-TV, Facebook und Twitter, www und Konsorten den „guten alten“ Amateurfunk in den Augen derer blass aussehen, die ungeniert und nüchtern nach „dem Sinn des Ganzen“ fragen. Und sobald die obligate tapfere Replik gefallen ist, Amateurfunk sei eben etwas „ganz anderes“, melden sich dennoch da und dort und immer häufiger die geheimen Zweifel: Was treibe ich da eigentlich, und wozu? Die Einzel-Entscheidungen zwischen Emotion und Ratio, zwischen Weitermachen aus Gewohnheit, dem undeklariertem Verzicht auf Aktivität und der definitiven Hobbyaufgabe summieren sich zum Alarmsignal: Aus der Sinnfrage ist eine Bestandsfrage geworden.

Funkgeschichte als Lehrbeispiel für die Zukunft

Dieses Resümee richtet sich nicht als kritisches Fazit an die Adresse des DARC. Es ist ein allgemein gültiger Befund, der an jede vergleichbare Institution angewendet werden kann und nur durch nationale Besonderheiten variiert (etwa durch die „Blutauffrischung“ bei der Vereinigung der beiden deutschen Verbände oder die organisatorische Neustrukturierung in Australien).
Dass die Funkverbände international unter Mitgliederschwund leiden, ist die kombinierte Folge mehrerer Unterlassungen: Man hat zu lang auf den ohnedies vorhandenen Mitgliederstamm gesetzt, den voraussehbaren „biologischen Schwund“ ignoriert und die Nachwuchsgewinnung vernachlässigt – so dass heute eine „überaltete“ Basis immer weniger attraktiv auf jüngere Kandidaten wirkt. Man hat eine längst nicht mehr haltbare und tragbare Eigendarstellung tradiert, welche die Technologie von heute dem Selbstverständnis von Vorvorgestern aufpfropft. Man hat keine Lösung für den natürlichen Zielkonflikt zwischen der „Basis“, den freiwillig tätigen Funktionären und einem strikt nach ökonomischen Gesichtspunkten handelnden Management gefunden und damit auf Kosten des „Wir-Gefühls“ die gegenseitige Entfremdung gefördert. Und schließlich: Man ersetzt, ganz so als sei der „Point of no return“ nicht bereits überschritten, isoliert auf kosmetische Maßnahmen (Beispiel: Einsteiger-Lizenz) statt auf ein realistisches Zielszenario, das auf allen Ebenen das zu Erwartende mit dem Möglichen kombiniert.
Aus der Sicht des Historikers erklärt sich dieses Syndrom ohne weiteres aus der oft erstaunlich resistenten Einsicht der Entscheidungsträger. Paradox ist ihre Innovationsangst, da sie zwar nur auf das aus ihrer Lebenserfahrung Bewährte setzen und sich doch zugleich der Reflexion auf die Vergangenheit widersetzen. Nichts könnte das fatale Fehlurteil besser beschreiben, als der Vorwurf eines leitenden Funktionärs an den beharrlich seine guten Dienste anbietenden Historiker; Zitat: „Ihr denkt ja nur zurück, wir aber denken an die Zukunft.“
Fazit: Was könnte diese Kleine deutsche Amateurfunkgeschichte geleistet haben? Die Einladung zur Einsicht, dass die Gegenwart ist keine Augenblicksgeburt ist, sondern bloß ein Zwischenhalt. Jeder Plan für die Zukunft wird hinken, wenn er nicht auf die Analyse der Vergangenheit fußt: Was haben wir falsch gemacht - das müssen wir künftig vermeiden. Was ist uns gelungen - dorthin führt der gangbare Weg. Wer in gestaltender Funktion diese Maxime nicht beherzigt, hat das Scheitern bereits vorprogrammiert: Vordenken funktioniert nicht ohne Nachdenken.



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