Amateurfunk in Deutschland
(25) Exkurs - Ärzte, Sportflieger und Kurzwellenamateure
Bild: DL3HW
Die Ausgangssituation
Am Sonntag, dem 23. September 1956, um 11.37 Uhr, ertönte im Äther der Hilferuf "CQ DL Frankfurt QTC medical". Wieder und immer wieder strahlte Carlo Tiveron, I1ZJV, der seinen Standort in Pontegriola bei Treviso hatte, diesen Hilferuf aus. Die Ausbreitungsbedingungen auf dem 40-m-Band schienen aber die erforderliche Hilfe vereiteln zu wollen, denn kein Amateur aus Frankfurt antwortete.
In München saß jedoch zu dieser Zeit Hermann Hollenburger, DL3HW, an seiner Station und hörte den Funkspruch mit. Gespannt wartete er, ob Frankfurt antworten würde. Frankfurt aber schwieg. Hingegen meldete sich die Klubstation YU2GAB des Radioklubs "Zastava" aus Zagreb-Samobor, und der Operator teilte seinem italienischen Funkfreund mit, dass er ihn bei dem Notruf nach Deutschland unterstützen wolle. Das war das Zeichen für DL3HW, seinerseits Hilfe anzubieten. Schnell war der Funkspruch von I1ZJV abgesetzt: "Bin von der Behörde autorisiert, sofort um Übersendung des Bayer-Präparates E 39 für Gabriela Bazzala in Portogruaro (etwa 80 km nordöstlich von Venedig) zu bitten. Können Sie helfen?"
DL3HW schritt zur Tat er rief den Oldtimer und DARC-Funktionär Werner Feilhauer, DL3JE, an und bat ihn um Rat und Unterstützung. Bei DL3HW saß zufällig Josef Klar, DL1GR, aus Landshut, auch er ein "alter Hase". Sofort versuchte er auf dem 10m-Band eine Verbindung mit Nordamerika zu erreichen. Als dies scheiterte, wurde nach kurzer Beratung die Station ausgeschaltet und das Telefon in Bewegung gesetzt. Nach zwanzig Minuten war im Krankenhaus rechts der Isar der Stationsarzt Dr. Raith ermittelt, der das Präparat besaß und Hilfe versprach. Weitere Telefongespräche mit München-Riem sicherten bereits die Mitnahme des Medikamentes mit dem planmäßigen Verkehrsfugzeug um 16.40 Uhr nach Venedig. Schnell ging es mit dem Wagen von DL1GR trotz des durch den Oktoberfest-Umzug lahm gelegten Straßenverkehrs zu Dr. Raith. Dort gab es aber eine schwere Enttäuschung: das Präparat war bereits verbraucht!
Wieder ging es mit Hochdruck an die Beschaffung von E 39. Die Universitätsklinik verwies an die die Bayer-Niederlage München und dort war Dr. Michl sofort zur Hilfe bereit. Während der Wagen unterwegs war, um das kostbare Präparat abzuholen, ließ Dr. Michl alles verpacken und gab für alle Fälle noch einen kleinen Überschuss mit. Ausgerechnet zu dieser Zeit war aber kein Verkehrsflugzeug nach Italien unterwegs, und abermals schien der Transport in Frage gestellt. Ein Anruf bei der Fliegerschule Intraco in München-Riem fand jedoch offene Ohren. Herr Bacher gab sofort die Genehmigung für den unentgeltlichen Einsatz einer Sondermaschine nach Venedig. Als Flugzeugführer stellt sich Herr Dautzenberg, ein Angehöriger des Flugsicherungskontrolldienstes, zur Verfügung und um 13.40 Uhr konnte DL3JE mit der wertvollen Fracht in der modernen Tri-Pacer D-EHAN von Riem nach Venedig starten. Als "Schlachtenbummler" hatten sich von der Intraco auch Frl. Sandböck und Herr Krawczyk zum Trip an den Lido eingefunden. Nachdem nun schon so viele Hindernisse überbrückt worden waren, durfte ein weiteres nicht mehr fehlen: Der von den Wetterfröschen prophezeite wolkenlose Himmel wich an der italienischen Grenze einer Schlechtwetterfront mit rasch heranziehenden aufliegenden Wolken. Was tut man, wenn die Maschine nicht blindflugfähig ist? - Man weicht dem Wetter aus. Brixen und Bozen waren bald überflogen, aber selbst dieser Umweg genügte nicht. Die Wetterfront noch weiter zu umfliegen, war aber aus Zeitgründen nicht möglich, denn die Maschine musste bei Sonnenuntergang wieder in München gelandet sein. Schweren Herzens wurde der Entschluss gefasst umzukehren und in Bozen zu landen. Der Platz war schnell gefunden und die Landung glatt durchgeführt. Da der Flugplatz in Bozen jedoch ein Militärflugplatz ist, wusste man dort nicht so recht, was man mit der deutschen Sportmaschine und dem Medikament anfangen sollte. Ein Telefongespräch mit dem Bozener Amateur I1BLT klärte aber schon erheblich die Lage und als nach wenigen Minuten Don Francesco G. Venturini, I1BTO, - von Gottfried Mumelter, I1BLT, entsandt - ohne das Stopp-Zeichen des Wachpostens am Tor des Fliegerhorstes zu beachten, auf dem Motorrad angerast kam, war die Situation völlig gerettet. Die Redegewandtheit des italienischen Funkfreundes (und Padres) war unübertrefflich, und er übernahm die Verhandlungen mit dem Fliegerhorstkommandanten und der inzwischen herbeigerufenen Polizei und dem Zoll. Der Polizeichef, der persönlich erschienen war, veranlasste sofort den Einsatz eines Sonder-Streifenwagens nach Portogruaro - allerdings erst, nachdem das Päckchen geöffnet und gründlich überprüft worden war, ob es auch keine Höllenmaschine enthielt.
Für die D-EHAN war es nun höchste Zeit, den Rückflug nach München anzutreten. Nachdem Bozen schon überflogen war, ertönte bis kurz vor Brixen aus dem Lautsprecher der Maschine immer wieder der Ruf "Deutsches Flugzeug aus Bolzano, auf Wiedersehen!" Dieser Gruß wurde gern und mit bestem Dank für die freundliche Aufnahme und Hilfe erwidert.
Die uneigennützige Hilfe der Kurzwellenamateure in Italien, Jugoslawien und Deutschland, die großzügige Hilfe der Bayer-Werke in München, die das Präparat kostenlos zur Verfügung stellten, das verständnisvolle Einspringen der Fliegerschule Intraco und schließlich auch der italienischen Behörde ermöglichten die schnelle Hilfe für Gabriela, die somit einer baldigen Genesung entgegen sehen konnte.
An der Aktion beteiligt waren auch die deutschen Amateurstationen Walter Geyrhalter, DL3RK, aus Kaufbeuren, Herbert Zurr, DL9GH, aus Frankfurt/Main und Helmut Walter Kamleiter, DL7BC, aus Berlin. Sie bemühten sich ebenfalls um die Unterstützung beim Hilferuf von I1ZJV und blieben während der Rettungsaktion im standby.
Noch ein Hinweis zu einem sehr gut gestalteten Hörfunkbeitrag, in dem auch der Notfunk behandelt wird: „Funkamateure - Die Kavaliere der Ätherwellen“ (14.01.1984, Archivnummer Audiopool_alt_kavaliere).
Folge 25: Exkurs - Ärzte, Sportflieger und Kurzwellenamateure [PDF , 272.9 KB]