1924-1929: Die Anfangstage des ÖVSV

1924-1929: Die Anfangstage des ÖVSVzoomAnderle verfolgte eine Doppelstrategie. Innerhalb der Strukturen der RAVAG musste im Programmbeirat die Lobby der Radioklubs ein gewichtiges Wort mitreden können. Deren Delegierte waren relativ einfach zu instrumentieren, sobald das Vorhaben spruchreif wurde. Es war jedoch nicht zu erwarten, dass der Beirat von sich aus „Privatradio“ (wie wir es heute nennen) initiieren würde, um sendenärrischen Dilettanten Tür und Tor zu öffnen. Also musste der Anstoß als gemeinsame Kampagne der Radioklubs von Außen kommen.

Getrennt marschieren, gemeinsam zuschlagen

Kurz zuvor, im April 1925, hatte in Paris der „Erste Internationale Radio-Amateur-Kongress“ stattgefunden und zur Trennung der Funk- und der Radioamateure geführt. Die „Wechselsprecher“ hatten zugleich einen universalen Verband gegründet, die Internationalen Amateurradio-Union (IARU), der pro Land nur ein Verband angehören konnte. Diesem Leitgedanken folgend - und für den Fall, dass sich auch die Radio-Enthusiasten international liieren würden -, regte Anderle die Schaffung eines Dachverbandes der österreichischen Radiobünde an.[1] Der programmatische Vereinsname war bald gefunden: „Österreichischer Versuchssenderverband“. Unter dem Vorsitz des Präsidenten des „Verbandes der österreichischen Radio-Klubs“, Ing. Hofmann, wurde ein Aktionskomitee gegründet, das die Satzungen des zu gründenden Vereins ausarbeitete. Am 23. Oktober 1925 fand im überfüllten Klubsaal des Hotels de France in Wien die konstituierende Versammlung statt und wurde ein provisorischer Vorstand gewählt, mit Oberst Ing. Anderle als Vorsitzenden:
„Der Zweck des Verbandes ist alle Freunde des Versuchssenders in eine einheitliche Organisation zu vereinigen. … Die Tätigkeit des Verbandes erstreckt sich auf die Förderung des Versuchssendewesens, … die Errichtung eines Versuchssenders für den Verband …(und) die Förderung der Interessen der Mitglieder … vor den Behörden und für den Sendebetrieb in Betracht kommenden Stellen.“[2]
Für die Konstituierung und bis zur behördlichen Genehmigung war ein aus den Vertretern der Radioklubs und einigen Delegierten des RAVAG-Beirats gebildeter Vorstand ideal. Zur Durchsetzung des Verbandsziels bedurfte es aber einer breiteren Front und zugkräftiger Namen an der Spitze. Eine Koryphäe bot sich da sozusagen von selbst an: Max Reithoffer.

Hofrat Prof. Dr. Max Reithoffer

Er wurde am 27. Oktober 1864 in Wien als Sohn des Gummiwaren-Fabrikanten Georg Reithoffer geboren, promovierte 1889 zum Dr.phil., legte 1890 die Lehramtsprüfung für Mathematik und Physik ab, belegte zugleich die elektrotechnischen Vorlesungen an der k.k. Technischen Hochschule in Wien und wurde 1898 für das Fach Elektrotechnik habilitiert. 1891 berief ihn Prof. Waltenhofer, der als Erster eine Lehrkanzel für Elektrizitätsanwendung inne hat, zum Assistenten. Nach dem Ableben seines Mentors supplierte Reithoffer als Privatdozent einige Semester dessen Lehrkanzel und wurde dann die rechte Hand von Prof. Hochenegg, Waltendorfers Nachfolger, bei der Planung, dem Bau und der Einrichtung des Elektrotechnischen Instituts der Technischen Hochschule Wiens. 1903, zu dessen Eröffnung, erfolgte die Ernennung Reithoffers zum außerordentlichen Professor. 1922 Ernennung zum Hofrat. 1924, nach Absolvierung des Dekanats, lehnte er die ihm von Professorenkollegen angebotene Rektoratswürde ab. Dies lässt auf aufbrechende interne Zerwürfnisse schließen. Für die Öffentlichkeit aber bleibt der nun Sechzigjährige eine als Pionier und Lehrer verehrte Leitfigur.
Schon 1901 hatte Reithoffer die große Bedeutung der drahtlosen Telegraphie erkannt und in der Folge ein Radiolaboratorium errichtet und ausgebaut, das bahnbrechende Experimente und Vorarbeiten leistete. Hier wurden die ersten Versuchssendungen auf 650m, Fernsprechübertragungen mittels Kurzwelle und „radiographisch“ übertragene Bilder durchgeführt. Reithoffer hatte 1924 in Anderles „Radiowelt“ einen programmatischen Leitartikel über die Zukunft des Rundfunks publiziert; bei dieser Gelegenheit dürften die beiden Seelenverwandten die ersten konkreten Bündnisgespräche geführt haben.

Der ÖVSV konstituiert sich

Am Mittwoch, dem 7. April 1926, tritt, wiederum im Klubsaal des Hotels de France die Konstituierende Generalversammlung des ÖVSV zusammen. Dem neu gewählten Vorstand gehören an: als Ehrenpräsident Max Reithoffer, als Präsident Franz Anderle, als Vizepräsidenten die Ingenieure Medinger und Hoffmann, als Schriftführer Major E. Wettendorfer und Richard Adler [3], als Rechnungsprüfer der Student (der Chemie) Hartl. Abgesehen von den beiden Spitzenfunktionären repräsentierte also eine wohl abgewogene aber öffentlich bedeutungslose Gruppe von Verbandsfunktionären, deren lokaler „Star“ Ing. F. H. Hofmann war, der Geschäftsführende Vizepräsident des „Verbands der Österreichischen Radioklubs“.
Es folgte eine für die Betreiber frustrierende Phase. Die Behörde zögerte bei der Behandlung der Anträge und Entwürfe, die ein Unterausschuss des RAVAG-Radiobeirats und ein Redaktionskomitee aller Beteiligten ausarbeiteten. Anderle gab auf eigene Faust „registrierte Rufzeichen“ für Versuchssender aus, von AUX1 bis AUX12 – schon diese geringe Zahl ein Beweis für das abflauende Interesse der ursprünglichen Enthusiasten. Die „Radioten“ verloren zunehmend an Exklusivität; mittlerweile konnte man Empfangsgeräte fix und fertig im Handel erwerben; die kleine Schar der Funkamateure innerhalb des ÖVSV bewiesen, wie problemlos man auf anderen Frequenzen als jener der RAVAG senden konnte, wenn auch keine Radioprogramme, und wenngleich illegal.
Als sich immer deutlicher zeigte, dass die geforderte „Studiensenderverordnung“ für Rundfunk nicht zu erreichen war, für Amateurfunk aber vielleicht doch, verlegte Anderle flink den Schwerpunkt seiner Kampagne: Er hielt es zur Wahrung seines Ansehens und der kommerziellen Absicherung seiner Zeitschrift mit der Realität.

Die „falschen Leute“ an der Spitze

Per 1. Jänner 1929 trat endlich die Studiensenderverordnung in Kraft.[4] Der ÖVSV, mittlerweile ein lupenreiner Amateurfunk-Verband, registrierte dies mit einem Aufatmen. Der ÖVSV-Präsident freilich war zwar begeisterter Telegraphist, aber deklariert kein Funkamateur; sein Hörrufzeichen OE-008 war eine noble, rein formelle Geste.[5] Und auch der Ehrenpräsident verfolgte ganz andere Interessen. Er legte sein ganzes Prestige in die Waagschale, dass am neu errichteten Institut für Schwachstrom das Radiolaboratorium in großem Stil ausgebaut werde:
„Das Elektrotechnische Institut (hat) fast ausschließlich auf die Starkstromindustrie Bedacht genommen. Die Radiotechnik stand damals in ihren Anfängen, und es war ein Zeichen weiser Voraussicht, daß trotz mancher Widerstände schon damals das Elektrotechnische Institut mit zwei Masten für eine Antennenanlage ausgestattet wurde. … Als Leiter des Radiotechnischen Instituts war ich stets bestrebt, mit den Fortschritt … gleichen Schritt zu halten. Leider wurden diese Bestrebungen immer noch durch die wenig entsprechenden Räumlichkeiten, dem Mangel an wissenschaftlichen Hilfskräften und die geringen Geldmittel gehemmt. … Es war (lediglich) möglich, zwei Sendestationen modernster Art zu errichten, einen für Langwelle und einen für Kurzwelle. … Zur Schaffung einer Abhilfe durch Vergrößerung der Räume … bietet sich jetzt anlässlich des geplanten Neubaues eines Schwachstrominstitutes die beste Gelegenheit, von der auch Gebrauch gemacht werden wird. Die Entwicklung der Drahttelegraphie und Drahttelephonie, die Probleme der Fernkabel … bieten eine Reihe von wichtigen Aufgaben, die bisher an der Technischen Hochschule in Wien nicht behandelt werden konnten. … Man vergesse (auch) nicht, … dass die Radiotechnik durch den Rundfunk (Broadcasting) reine Quelle allgemeiner Kulturförderung geworden ist. Zur Übertragung von Musik und Sprache ist die Zeit gekommen, die Übertragungen von Bildern sind da, und auch das Problem des Fernsehens und der Fernkinematographie hat seine ersten verheißenden Flügelschläge getan.“[6]
Der Plan scheiterte an Sparmaßnahmen. Reithoffer hatte längst an Einfluss verloren. Auch für den ÖVSV waren die beiden Galionsfiguren zunehmend zur Belastung geworden. Bei der Hauptversammlung 1932 kam es zu einem Wechsel an der Spitze: Max Reithoffer demissionierte, an seiner Stelle wurde Anderle zum Ehrenpräsidenten hochgelobt; zum neuen Präsidenten wählte man Carl Martin, (ex EACM) UO1CM.
Max Reithoffer emeritierte mit 31. Dezember 1933 und zog sich völlig ins Privatleben zurück. Er starb, 81jährig, am 10. März 1945.

[1] Zu den der „Radiowelt“ verpflichteten Radiovereinigungen gehörten u.a.: der „Freie Radiobund“, der „Jugend-Radiobund“, der „Österreichische Radioklub“, der „Österreichische Radiobund“, der „Arbeiter-Radiobund“, der „Radiobund der Gemeindeangestellten“, die „Funktechnische Gesellschaft“, der „Internationale Radio-Klub“, der „Österreichische Funkverein“, der „Klub der Radioamateure“ und der „Verband der österreichischen Radio-Klubs“, dem vorwiegend Vereine in den Bundesländern angehörten.
[2] Einleitender Paragraph des Satzungsentwurfs. Gleichsam als Hintertürchen sah man – wie sich später erweisen sollte: in guter Vorsorge – auch „die Verbindung mit der Leitung der Internationalen Amateur-Union und den Deutschen Amateursendevereinigungen“ vor.
[3] Die einzigen späteren Funkamateure aus dem ursprünglichen Vorstand: Wettendorfer (ÖEZ?) EAEZ und Adler (ÖAR?) EAAR.
[4] 366. Verordnung des Bundesministeriums für Handel und Verkehr, vom 27. Dezember 1928.
[5] Ebenso wie sein Ehren-Rufzeichen DE1005, nach dem kollektiven Beitritt des ÖVSV zum DASD.
[6] „Radiowelt“, Heft 49/1928 vom 8. Dezember, Leitartikel von Reithoffer.



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