Rundfunk in Österreich 1924 - 1938
Die Frühgeschichte - aus anderer Sicht
Aus: Erb, Ernst, M.u.K. Hansa (Hg) - "Radios von gestern" (1. Aufl.,1989; Erb, Wien) S 129 ff - mit freundlicher Genehmigung von Ernst Erb. - Hinweis: Der Text wurde um einige Kapitelverweise und die im Buch enthaltenen Fußnoten gekürzt.
Es folgen drei Probesendungen pro Woche auf Welle 700 m mit dem Sender Stubenring. Anfang November 1923 entsteht eine Gesellschaft zur Förderung des Radiowesens in Österreich mit Sitz in Wien. Ab 1.1.1924 kommen keine neuen Amateurlizenzen zur Verteilung. Wahrscheinlich ist dies ein Irrtum, denn der Autor bezieht sich dabei auf Hörer nach heutigem Begriff. Etwa um 1927 bildet sich der Österreichische Versuchssenderverband (ÖVSV). Der ÖVSV bildet die Vereinigung der österreichischen Radio-Amateure. ...
Im Februar 1924 erfolgt die Konzessionserteilung an die noch nicht endgültig konstituierte RAVAG, die nun den alten Militärsender im Kriegsministerium am Stubenring zu Versuchszwecken betreiben darf. Am 10.3.1924 findet unter dem neuen Gremium ein erstes "Hekaphon-Konzert" statt. Nach Adaptierung des Senders beginnen im Mai erste Versuche - mit der Übertragung eines Boxkampfes! Das Studio misst ganze 6 x 6 m und ist auf dem Dachboden eingerichtet. Am 24.6.1924 findet ein Probekonzert mit dem Stubenringsender statt. Bis Ende Juni beträgt die Sendezeit beider Sender abwechselnd fast täglich einige Stunden.
Am 14.7.1924 kommt es zur Konstituierung eines "Proponentenkomitees", aus dem die Österreichische Radioverkehrs-A.-G. (RAVAG) mit einem Aktienkapital von 4 Milliarden Kronen entsteht. Bund, Gemeinde Wien, das Credit-Institut für öffentliche Unternehmungen und die Bank für Steiermark beteiligen sich mit je 21 Prozent. Den Rest tragen die Erzeugerfirmen J. Berliner, Ericcson, Kapsch & Söhne sowie Leopolder & Sohn. Oskar Czeija erhält den Posten des Generaldirektors. Während am Stubenring die Umbauarbeiten stattfinden, übernimmt der Hekaphon-Sender bis zum 29.8.1924 die Ausstrahlung. Anfang September beginnt Radio Wien täglich mit einer Telefunken-Anlage zu senden. Oskar Czeija (die Zeilen stammen aus seinem Bericht) schießt aus eigenen Mitteln die ganzen Kosten von einer halben Milliarde Kronen vor.
Offizieller Sendebeginn
Ab 1.10.1924 versieht die RAVAG ihren Dienst mit dem Sender am Stubenring bei einem Stand von ungefähr 11.000 Rundspruchteilnehmern. Am 5.10.124 sendet man erstmalig ein vollständiges Tagesprogramm. Drei Monate später gibt es 94.322 Hörer - und 1934 sind es 511.000.
Das Programm gliedert sich in vier Gruppen: Musik, Literatur, Wissenschaft und Nachrichtendienst. 1924 gibt es allerdings 99 % Musik, 20 Stunden wöchentlich. 1933 betragen die Anteile der 4197 Stunden Sendezeit: Musik 2615 Std. (62,3 %), Literatur 345 Std. (8,2 %), Wissenschaft 721 Std. (17,2 %) und Nachrichtendienst 516 Std. (12,3 %).
Weitere Entwicklung der Sender
Im Winter 1924/25 verdoppelt das Einsetzen einer zweiten Röhre die Sendeleistung auf 0,7 kW. Am 30.3.25 beginnt der erste Zwischensender (Leistung 0,5 kW) auf dem Schlossberg in Graz mit der Ausstrahlung des Programms. Am 30.1.1926 nimmt der "Groß-Sender Rosenhügel" in Wien mit 7 kW Sendeleistung auf Welle 517,2 m den Betrieb auf. Am 12.2.1927 erfolgt die Eröffnung des Klagenfurter 0,5-kW-Senders und am 2.6.1927 die des Innsbrucker 0,5-kW-Senders. Ab 8.5.1928 leistet der Sender Rosenhügel 15 kW. Am 24.6.1928 kommt der Linzer 0,5-kW-Sender hinzu. Als nächstes verlegt man den Sender Graz nach St. Peter und verstärkt ihn. Seine Aufgabe ist die Belegung der zweiten Hauptwelle. Kleine Sender von maximal 1 kW strahlen auf der Hauptwelle als Gemeinschaftswelle (Gleichwellenbetrieb).
1928 unternimmt die RAVAG Versuchssendungen auf Kurzwellen (aus einer Baracke am Rosenhügel). Sie finden ab 1934 an allen Wochentagen statt.
Im Mai 1933 ist der Groß-Sender Bisamberg mit einer Sendeleistung von 100 kW betriebsbereit. Wegen der langgestreckten Form des Landes entwickelt 1932 Prof. G.A. Schwaiger eine Antenne mit Richtcharakteristik, indem er im Abstand einer Viertelwelle eine zweite Antenne errichtet.
Die Luzerner-Konferenz von 1933 eröffnet Österreich eine dritte Welle, die ohne Einschränkung der Leistung ausschliesslich Österreich zur Verfügung steht. Aus diesem Grund kann man in Vorarlberg einen Sender von 5 kW mit einer eigenen Frequenz betreiben. In Gleichlauftechnik arbeitet der Sender Klagenfurt auf 5 kW verstärkt. Dem Sender Innsbruck bewilligt die Konferenz in Luzern eine ausserhalb des Rundfunkbereiches liegende Welle (580 m, 519 kHz) mit 1 kW; das Land Tirol erhält eine bessere Versorgung. Versuche mit Kleinstsendern in ungenügend versorgten Gebieten finden statt. Im Frühjahr 1935 verlegt man den Sender Rosenhügel Wien nach Linz, modernisiert ihn und lässt ihn im Gleichlauf mit Graz betreiben.
Mikrofone
Seit Betriebsbeginn arbeitet Radio Wien mit dem Bändchenmikrofon. Dipl.-Ing. F. Eibensteiger erinnert sich an einen an vier Federn in einem Ring aufgehängten, wuchtigen Marmorblock. Auch hat er keinen Vorverstärker in unmittelbarer Nähe gesehen, so dass vermutlich ein hochwertiges Kohlemikrofon im Einsatz stand. 1925 folgt das Reisz-Mikrofon aus Deutschland. Im Frühjahr 1926 verwendet man erste Kondensatormikrofone, 1927 sind es englische Reisz-Mikrofone. Später kommt das Bändchenmikrofon der zweiten Generation in Gebrauch. Das elektrodynamische Mikrofon verdrängt das Bändchenmikrofon; ab 1934 erscheinen erste Kristallmikrofone.
Bildübertragung
Im März 1926 unternimmt Belin Bildtelegrafieversuche zwischen Wien und Paris und ab 25.3.1926 zwischen Wien und Graz. Es handelt sich um Fotografien und Schriften, die als stehende Bilder zur Übertragung kommen. Ab 1.12.1927 erfolgen tägliche Bildübertragungsversuche, nachdem Versuche mit den Thorne-Bakerschen und Tschnörnerschen Verfahren durchgeführt wurden. Ab 15.10.28 bis 1929 wird ein Versuchsbetrieb mit dem System Fultograph durchgeführt. Die Betreiber erkennen, dass nur bewegte Bilder Erfolg versprechen. Bis 1934 jedenfalls arbeitet Österreich nicht an TV, sondern konzentriert sich voll auf den Ausbau der Radiosender. Zu internen Zwecken dient ab 1932 UKW (in AM). Kapsch führt 1930 auf der Wiener Messe zwischen dem Messestand und einem eigenen Fernseh-Pavillon bewegte Bilder vor - und benutzt dazu die Nipkow-Scheibe.
Publikum
Österreich hat eine starke Zunahme an Radiohörern zu verzeichnen. Nach dem Start am 1.10.1924 mit 11'000 Hörern sind am Jahresende jeweils folgende Hörerzahlen zu verzeichnen: 1924 94.322 - 1925 184.646 - 1926 245.673 - 1927 291.548 - 1928 325.200 - 1929 376.366
Radioindustrie
Das kleine und wirtschaftlich schwache Land Österreich baut in den ersten Jahren des Rundfunks eine bemerkenswerte Radioindustrie auf und exportiert einen Grossteil der Produktion. 1924 bestehen in Österreich ein Dutzend bekannte und zahlreiche kleine Radiofabriken. Die Zahl der Radiohändler erreicht 800. 1925 wechselt die Währung von Kronen in Schillinge, wobei der Umtausch im Verhältnis von 10.000:1 erfolgt. Im Verlauf der 20er und 30er Jahre entstehen einige interessante Geräte. Wichtige Sammlerbeispiele sind der Ingelen-Geographic und die R-Serie (Kofferempfänger) von Radione, die sich besonders durch Trennschärfe und hohe Empfindlichkeit auszeichnet.