Rundfunk in Österreich 1924 - 1938
Ein paar Tage im März
Das Ende der RAVAG beim „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich
Blick zurück: 25. Juli 1934
Auch vier Jahre zuvor war die Lage brisant und explosiv. Nach den bürgerkriegsartigen und blutig niedergeschlagenen Februarunruhen etablierte sich der retro-konservative Ständestaat als austrofaschistische Antwort auf den übermächtigen deutschen Nachbarn. Unter dem Kruckenkreuz wurde auch die RAVAG ihrer letzten Unabhängigkeit beraubt. „Durch mehrere Tage und Nächte stand der Österreichische Rundfunk mit allen seinen Sendern der Staatsführung zur Verfügung.“ (1) Das Programm bestand vorwiegend aus Schallplattensendungen und den in vollem Wortlaut wiederzugebenden Mitteilungen der Amtlichen Nachrichtenstelle, die im Funkhaus eine Dependance eingerichtet hatte. Dass es auch im Personal und bei den Sendungsgestaltern illegale Nazis gab, war offenkundig. Am 15. Juni war im Funkhaus eine Bombe explodiert und hatte einigen Schaden angerichtet.
25. Juli 1934: Der NS-Putschversuch
Der 11. März 1938
Die Erinnerung an den Juliputsch steht den Verantwortlichen und den Mitarbeitern in diesen ereignisreichen Tagen immer deutlicher vor Augen. Am 24. Februar hat Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg im Bundesrat – und für die RAVAG-Mikrofone und die Wochenschaukamera – eine große programmatische Rede gehalten, die in den Worten gipfelte: „Rot Weiß Rot bis in den Tod!“ Am 9. März hat Schuschnigg kurzfristig eine für heute anberaumte Volksbefragung über die Unabhängigkeit des Bundesstaates Österreich verkündet. Göring verhandelt ultimativ im Auftrag Hitlers: Das Referendum sei abzusagen, Bundespräsident Miklas habe die Bundesregierung zu entlassen und bis 19 Uhr 30 den nationalsozialistischen Innenminister Arthur Seyß-Inquart mit der Bildung einer neuen Regierung zu beauftragen, anderenfalls die an der Staatsgrenze stationierte deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschieren werde.
Die Polizisten tragen bereits Hakenkreuzbinden, durch die Straßen ziehen johlende Nazi-Horden mit Heil-Rufen, auf dem Ballhausplatz wird mit zum „deutschen Gruß“ gereckten Armen demonstriert. Um 19 Uhr 47 entschließt sich Schuschnigg, vor das im Kabinettzimmer aufgestellte Mikrofon zu treten. Die Außenstelle der RAVAG am Ballhausplatz befindet sich schon den ganzen Tag in Betriebsbereitschaft. Schuschnigg teilte der Bevölkerung mit, dass man „der Gewalt weiche“ und „weil wir um keinen Preis, auch in dieser ernsten Stunde nicht, deutsches Blut zu vergießen gesonnen“ sei, dem Bundesheer den Auftrag gegeben habe, „für den Fall der Einmarsch deutscher Truppen keinen Widerstand zu leisten.“ Er schließt mit den Worten: „Gott schütze Österreich!“ (2)
In der RAVAG hat Dr. Arthur Schuschnigg, der Bruder des Kanzlers, Dienst als Verantwortlicher für die korrekte Abwicklung der Schallplattensendungen. Heute zeichnet er die Rundfunkansprache für die Nachwelt auf und lässt spontan das Haydn-Quartett mit der alten Kaiserhymne folgen, ehe der Sender abgeschaltet wird.
Um 20 Uhr 45 unterschreibt Hitler den Einmarschbefehl. Über dem Polizeipräsidium und dem Rathaus weht bereits die Hakenkreuzfahne. Kurz nach 23 Uhr verkündet Seyß-Inquart vom Balkon des Bundeskanzleramts die Machtübernahme.
Wenige Minuten zuvor betreten zwei Herren in Zivil, aber mit Hakenkreuzbinde, das Funkhaus, und was dann geschieht, lässt sich aus der letzten Seite des Betriebstagebuchs mit dem falsch gezeichneten Hakenkreuz ablesen: “Über Weisung des Herrn Staatsrates Dr. Jury hat Herr Max Lange um 23 Uhr den gesamten Betrieb übernommen. Herr Dr. Franz Pesendorfer den Sicherheitsdienst ohne Kontrolle der Mobilien und Immobilien. mp. Max Lange, mp. Oskar Czeija, mp. Dr. Franz Pesendorfer“ (3)
Der Arzt Dr. Hugo Jury ist Staatsrat der neuen Regierung. Max Lange, ein bis zu diesem Zeitpunkt unauffälliger Techniker im Funkhaus, entpuppt sich erst jetzt als heimlich eingeweihter Bekannter von Jury. Er wird vorübergehend Personalchef und verschwindet dann in der Versenkung. Dr. Franz Pesendorfer ist arbeitsloser Lehrer, verkehrte im Kreis von Seyß-Inquart und wird anderentags erster von in der Folge vier kommisarischen Leitern.
Der 12. März 1938
In den Morgenstunden überschreitet die Deutsche Wehrmacht die Staatsgrenze. Auf dem Flugfeld Aspern in Wien landet eine Sondereinsatzgruppe aus Berlin unter Leitung von Heinrich Himmler. Zu ihr gehören auch Mitarbeiter der Abteilung III des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, darunter Josef Bürckel, Rundfunk-Sonderbeauftragter, und Adolf Raskin, Intendant des Reichssenders Saarbrücken und nächster kommissarischer Stationsleiter, sowie der Tross des technischen Stabes der Reichsrundfunkgesellschaft. Das Exekutivkomitee der RAVAG wird seiner Funktion enthoben und der Rundfunk der Hauptabteilung 7 der Propagandaabteilung bei der Landesleitung der NSDAP zugeteilt. Der Sender Wien meldet sich als Deutschösterreichischer Rundfunk. (Er wird erst am 30. März per Proklamation von Goebbels in Reichssender Wien umbenannt.) Czeija hat bereits am Vorabend Hausverbot erhalten. Das gilt nun auch für seine engsten Mitarbeiter. Als PU („politisch unzuverlässig“) müssen sie sich in ihren Wohnungen bereithalten. Dr. Arthur Schuschnigg ist gar nicht erst zum Dienst erschienen. Eineinhalb Jahre später erhält er seinen Entlassungsschein, mit der Begründung, er habe zu viel jüdische Musik ins Programm aufgenommen.
Am 9. April verkündet Adolf Hitler vom Balkon der Hofburg aus die „Heimkehr meiner Heimat in das Deutsche Reich“. Die RAVAG wird in die Reichsrundfunkgesellschaft eingegliedert und am 17. Mai 1939 amtlich gelöscht. Der Reichssender Wien zieht ohne feierliche Einweihung in das von der RAVAG seit 1935 errichtete und ab November 1939 voll funktionsfähige große Funkhaus in der Argentinierstraße ein.
Bis zum 29. April 1945, dem Tag der Ausrufung der Zweiten Republik, verstummt die Stimme Österreichs im Äther.
Quellen:
(1) Jahresbericht 1934 der RAVAG
(2) Audio: ext. Link
(3) Zit.n.: Ergert, Viktor: “Die Geschichte des Österreichischen Rundfunks”, Bd. I, S. 112ff