Rundfunk in Österreich 1924 - 1938
Ein geheimer Nazi-Sender in Österreich?
Eine Episode aus den Jahren 1934/35
Die Antwort aus der Hetzgasse kam am 20. November und lautete, man verfüge hieramts über keine diesbezügliche Erkenntnisse, bäte aber um nähere dortamtliche Angaben,[3] worauf die Wiener Funküberwachung am 29. November 1934 replizierte:
„…dass bezüglich der zur Anzeige gebrachten angeblichen Geheimsender OE047 und OE086 nähere Anhaltspunkte auch hieramts nicht bekannt sind. Diese Stationen sollen laut einer bei der Staatspolizei erstatteten Anzeige im September auf den Wellen 33 beziehungsweise 42 m gearbeitet haben. Die Bundespolizeidirektion Wien ersucht, falls diese Sender im Rahmen des dortamtlichen Funküberwachungsdienstes gehört werden sollten, um fernmündliche Verständigung der hieramtlichen Beobachtungsstation.“[4]
Die Telegraphendirektion in Wien fühlte sich daraufhin und nach längerer Beobachtungsdauer veranlasst, ihre vorgesetzte Dienststelle zu unterrichten, die Generaldirektion für Post- und Telegraphenverwaltung.[5] Diese wiederum unterrichtete deren ranghöchste Dienststelle, das Bundesministeriums für Handel und Verkehr – und erhielt postwendend einen Rüffel aus dem Präsidium: Man verwies auf einen ministeriellen Erlass, in dem erst kürzlich die Abfolge der Amtswege in solchen Fällen eindeutig festgeschrieben worden sei,[6] und dessen Bestimmungen offenbar in der konkreten Causa gröblich missachtet worden seien. Der Vorwurf wurde unverzüglich an den Urheber weiter gereicht; die Wiener Polizeidirektion musste Farbe bekennen, und die dergestalt unterrichtete Telegraphendirektion meldete – nunmehr unter dem Betreff Angeblicher Geheimsender in Wiener Neustadt –am 2. März 1935 an die Generaldirektion:
„Wie uns bekannt wurde, ist die vorliegende Anfrage der Polizeidirektion darauf zurückzuführen, dass diese selbst bzw. die Sicherheitswacheabteilung 27 (Stabshauptmann Weißmann) auf Grund von Angaben des Sendeamateurs Friedrich Strohal und mit seiner Mitwirkung, und zwar ohne die Telegraphenbehörde zu verständigen, Nachforschungen nach angeblich bestehenden Geheimsendern der N.S.D.A.P. mit den Rufzeichen OE 047 und OE 086 angestellt hat, die aber bisher ergebnislos waren.“[7]
Warum Friedrich Strohal (Wien VII, Lerchenfelderstraße 31)[8] die Anzeige erstattete, obwohl er doch wissen musste, dass es sich um ÖVSV-Hörerrufzeichen handelte und der Betreiber des angeblichen Geheimsenders zudem nur wenige Häuserblocks entfernt wohnte, bleibt offen. Wollte er bewusst einen Funkfreund denunzieren, dem er ein Naheverhältnis zu den Nationalsozialisten unterstellte? Oder handelte er aus Naivität oder in blindem Eifer? Beides ist kaum vorstellbar. Jedenfalls dürfte er erneut vorgeladen worden sein und auf nähere Befragung die Sachlage geklärt haben, denn die Telegraphendirektion zitiert aus einer Darstellung der Wiener Polizei:
„Zu bemerken ist, dass OE 047 und OE 086 keine Rufzeichen sind, sondern vom Österreichischen Versuchssenderverband seinen Mitgliedern, sie sich nur mit dem Empfang von Amateursendungen befassen, ausgewiesene Empfängerkennzeichen. Das Kennzeichen OE 047 ist, wie uns bekannt ist, einem gewissen Herbert Philippi aus Innsbruck, derzeit in Wien VII Neubaugasse 76 wohnhaft, zugewiesen. Philippi hat uns inzwischen ein Ansuchen um Studiensenderbewilligung vorgelegt und bei dieser Gelegenheit mitgeteilt, dass die Polizei bei ihm zwischen dem 7. und 15. Juli v.J. wegen des Verdachtes des Bestehens eines Geheimsenders eine Hausdurchsuchung vorgenommen und sich hiebei auch mit dem Obmanne des ÖVSV, Carl Martin telephonisch ins Einvernehmen gesetzt habe. Die Hausdurchsuchung sei ergebnislos gewesen. Auch damals hat uns die Polizei von dem bestehenden Verdachte, dass der Genannte einen Geheimsender betreibe, nicht in Kenntnis gesetzt.“ [9]
Philippi[10] kam also mit einem blauen Auge davon und dürfte auf seinen übereifrigen Funkfreund Strohal nicht besonders gut zu sprechen gewesen sein. Wer hinter OE086 steckte, geht aus dem Schriftverkehr allerdings nicht hervor. In den überlieferten handschriftlichen Rufzeichenlisten,[11] die vom Klubsekretär Willy Blaschek, OE3WEB, akribisch geführt wurden, wird hier – allerdings ohne Angabe einer Jahreszahl – Kurt Nekolny aus Lenzing angeführt (von dem nichts weiter bekannt ist als dass er nach 1945 illegal als HA1A gefunkt hat).
Der Radioausforschungsdienst der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt nahm den Fall zum Anlass, um Streng vertraulich mit vierseitigem Rundschreiben alle Herren Sicherheitsdirektoren und die Herren Vorstände sämtlicher Bundespolizeibehörden (zur eigenhändigen Eröffnung) zu vergattern:
„Bei der Durchführung des Radiobeobachtungs- und Ausforschungsdienstes bedürfen die Telegraphenverwaltung bezw. ihre mit der Durchführung dieses Dienstes betrauten Organe vielfach der Unterstützung der Sicherheitsbehörden. Wie die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt hat, hängt es in vielen Fällen geradezu von dem verständnisvollen und vernehmlichen Zusammenwirken zwischen den genannten Behörden (Organen) ab, ob die auf Grund oft sehr langwieriger Beobachtungen mögliche Ausforschung unbekannter Sender mit einem Erfolg, d.h. mit der endgiltigen Feststellung und Beschlagnahme der Sender endet oder ob durch vorzeitiges und unzweckmässiges Vorgehen der beobachtete Sender gewarnt und damit das Ergebnis der langwierigen Beobachtungsarbeit in Frage gestellt wird. Daher ergeht die Einladung, folgendes zu veranlassen:
1. Alle nachgeordneten Dienststellen (Organe) sind in geeigneter, vertraulicher Weise vom Bestehen eines Radioausforschungsdienstes der Telegraphenverwaltung in Kenntnis zu setzen. (…)
2. Auf das notwendige, besonders vorsichtige Vorgehen bei Hausdurchsuchungen … wird aufmerksam zu machen sein. … Alle irgendwie auf einen Radiobetrieb bezughabende Umstände (Anlagen, Geräte, Unterlagen für einen Sendeverkehr, Aufzeichnungen auch scheinbar harmloser Art) sind so rasch als möglich der betreffenden Telegraphenbehörde bekanntzugeben.
Es ist vorgekommen, … dass bei Hausdurchsuchungen Indizien, die auf das Vorhandensein und den Betrieb eines Geheimsender schliessen liessen, seitens der Sicherheitsorgane nicht beachtet wurden … und nur harmlos erscheinende Radioempfänger vorgefunden wurden. Eine spätere Nachschau durch Telegraphenorgane hat aber unzweifelhafte Anzeichen für das vermutete Vorhandensein eines unbefugten Senders ergeben. (…)
4. Über jeden Fall einer aufgenommenen Beobachtung eines Radiosenders oder der erfolgten Hausdurchsuchung ist dem Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentl. Sicherheit, Staatspolizeiliches Bureau, umgehend zu berichten.“ [12]
So führte die Anzeige eines Funkamateurs zwar nicht zur Enttarnung eines Nazi-Senders, eröffnet aber im Rückblick aufschlussreiche Details über die damalige behördliche Tätigkeit und Nervosität.
[1) d.i. das Bundesministerium für Handel und Verkehr, Abteilung 11: Generaldirektion für Post- und Telegraphenverwaltung
[2) Abschrift GPD Wien, Zl. G.I. 20/35/21
[3) Schreiben T.D. 81/490/1934
[4] Abschrift GPD Wien, Zl. G.I. 20/35-21.1
[5] Schreiben T.D. Vorst. Vom 07.12.1934, Zl. 664/1934
[6] Erlass vom 20.09.1934 B.M. Zl. 37097/1934
[7] Schreiben T.D. Zl 81490/34
[8] Friedrich Strohal "stud. phys. und chem." EAFS, UOFS, als UO1FS, lizenziert bereits in der ersten Serie von Studiensenderbewilligungen am 25.01.1930, lt. "Verzeichnis der bewilligten Amateursender"
[9] Ebda
[10] Herbert Philippi, OE047, 1935 lizenziert als OE1HP, später DEM1447/S; nach 1945 nicht mehr aktiv
[11] RZLOE, 8S Handschr., o.D., Dokumentationsarchiv Funk
[12] Abschrift, Schreiben G.D. 301.813-St.B. v. 19.03.1935 und Erlass Bundeskanzleramt Zl. 312/435n G/3/1935
Foto von der Schwarzhörer-Kampagne: Der Goetz von Berlichingen 5. Februar 1934